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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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antwortete nicht.
    »Auf unserer Erde«, sagte Arsenjew, »gibt es weniger Furcht und Not als früher. Doch es wäre falsch und schlimm, wenn wir unter dem Einfluß des allgemeinen Wohlstandes das verlieren würden, was uns hoch über alle anderen Geschöpfe erhebt. Zweifellos liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier in unserem Verstand; aber darüber hinaus gibt es noch etwas Wertvolleres, eine Kraft, vielleicht könnte man sie Treue nennen, die uns oftmals ausdauernder als unsere Körper, stärker als unsere Muskeln und härter als unsere Knochen macht, die uns befiehlt, auf eine von vornherein verlorene Sache alles zu setzen – wenn es um einen Menschen geht. IhrHandeln, Pilot, hat durch den Tod des Freundes um nichts an Sinn verloren. Sie waren Mensch bis zum letzten. Wären wir doch alle überall und stets imstande, mit offenen Augen Mensch zu sein.«
    Er erhob sich und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Und der Rest, Freunde ... der Rest ist Schweigen.«

Der Stern Erde
    Der zwanzigste Reisetag. Wie ein neuer Planet raste der »Kosmokrator« mit ausgeschalteten Motoren hinter der Venus her. Wir können ihre Phasen, die sich wie beim Mond ändern, nun schon mit freien Augen erkennen. Die hohe Geschwindigkeit ist überhaupt nicht spürbar. Wenn man nicht in den Televisor blickt, könnte man glauben, die Rakete ruhe unbeweglich auf der Erde. Ich laufe stundenlang im Mittelgang umher, durchquere alle Verbindungsgänge der Laderäume und kehre dann wieder in den dreieckigen Korridor zurück, bis mich von dort die wie seit Ewigkeiten herrschende Stille und das immer gleichleuchtende, künstliche Tageslicht verscheuchen.
    Heute mittag, als ich am Laboratorium vorbeiging, hörte ich jemanden laut lachen. Es war Arsenjew: Sein Lachen könnte einen Toten aufwecken. In der Meinung, daß die Wissenschaftler ihre Arbeiten bereits beendet hätten – sie saßen seit dem Morgen im Laboratorium –, öffnete ich die Tür und vernahm gerade noch, wie Arsenjew zu dem Physiker sagte: »Das sind doch Scherze, Kollege! Kistiakowski hat doch bewiesen, daß der Potentialwall bei freier Rotation um die Bikarbonachse im Aethan kaum zwei Kilokalorien beträgt.«
    »Verzeihung!« stammelte ich und zog mich zurück. Ich ging in die Gemeinschaftskabine. Sie war leer. Ich blickte in den Televisor, der auf die Erde gerichtet war. Sie unterschied sich von den anderen Sternen durch ihre Größe und ihren besonders hellen Schein. Dicht über ihr hing als runder weißer Punkt der Mond. Ich hatte wohl schon eine halbe Stunde auf den Leuchtschirm gestarrt, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte. Ich schrak zusammen. Es war Arsenjew. Eine Weile standen wir beide schweigend vor dem Leuchtschirm, dann fragte er in einem Ton, als suchte er in sich selbst nach einer Antwort: »Heimweh?«
    Die Erde schimmerte in bläulichem Glanz. Der Leuchtschirm konnte einen zeitweilig die Tiefe des Raumes vergessen lassen. Ganz nahe am Rahmen des Schirmes zog sich ein mattgoldener Streifen hin, der Sternengürtel der Milchstraße.
    Ohne die Hand von meiner Schulter zu nehmen, fragte mich der Astronom leise: »Meiden Sie uns vielleicht deshalb?«
    »Ich meide Sie?«
    »Aber selbstverständlich. Wenigstens taten Sie es vorhin im Laboratorium.« Er lächelte. »Lao Tsu und ich haben Sie zu unseren Besprechungen eingeladen; aber Sie kommen nicht. Außerdem stehen Sie auf und entfernen sich, kaum daß wir uns irgendwo in der Nähe hingesetzt haben. Ich habe es schon mehrmals bemerkt.«
    »Ich wollte nicht stören«, erwiderte ich rasch. »Was die Besprechungen anbelangt ... ich bin der Ansicht, daß es keinen Sinn hat. Nur um dort zu sitzen ... Ich könnte ja doch nur das sagen, was Ihnen schon längst bekannt ist. Ich bin Pilot und ...«
    »Zum Teufel mit Ihrem Piloten!« rief Arsenjew, und seine Augen blitzten zornig. »Hier Pilot und hier Wissenschaftler, was? Sie glauben wohl, wir hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen? Bücher ... Formeln ... Mathematik ...«
    Er lachte ärgerlich auf.
    »So habe ich es nicht gemeint«, beschwichtigte ich ihn. »Als ich sechs Jahre alt war, kam einmal ein berühmter Flieger in unser Haus, der auf seinem Flug Kanada – Nordpol – Australien in Pjatigorsk zwischengelandet war. Vater brachte ihn im Auto zu uns. Er blieb zum Abendessen, übernachtete und flog am nächsten Morgen weiter. Ich sehe ihn noch wie heute an unserem Tisch sitzen. Er saß mir gegenüber und trank den Tee nach russischer Art aus der

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