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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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vorgeschriebenen Stellen. Der »Kosmoskrator« hatte nicht den geringsten Schaden zu verzeichnen, wenn man von dem zerschlagenen Eßgeschirr und vier oder fünf Laboratoriumsgeräten absah, die nicht sorgfältig genug befestigt waren.
    Tarland bezweifelte, daß ich imstande sein würde, den Navigationsdienst anzutreten; es gelang mir jedoch, ihn davon zu überzeugen. Nach einer Weile, als bereits alle die Zentrale verlassen hatten, kehrte der Biologe noch einmal zurück und brachte mir Stärkungstabletten. Er verordnete mir, stündlich eine zu nehmen, und ging erst wieder weg, nachdem ich die erste geschluckt hatte. Mir schien es, als ärgerte er sich durchaus nicht über das Meteorenabenteuer; denn dadurch hatte er endlich etwas zu tun bekommen.
    Bis zum Ende meines Dienstes las ich immer wieder die Angaben der Instrumente ab und blickte dabei mit einem gewissen Mißtrauen auf den sternenübersäten Leuchtschirm des Televisors. Der sonst so stille und friedliche interplanetare Raum hatte uns heute eine neue, weniger friedliche Seite gezeigt. Um acht löste mich Oswatitsch ab. Bis zum Abendessen spazierte ich wieder im Korridor auf und ab und konnte nunmeine vorher unterbrochenen Überlegungen zu Ende denken.
    Nun, da war also noch ein Merkmal der Weltraumflüge: Zwischen ihrem normalen Verlauf und dem gefährlichsten Zwischenfall gab es keinen Übergang. Seeleute und Flieger bemerken die Anzeichen eines heraufziehenden Unwetters lange vorher. Hier aber bricht die Gefahr wie ein Blitz aus heiterem Himmel herein und ist ebenso plötzlich wieder verschwunden. Ich fragte mich, was wohl geschehen wäre, wenn sich im Innern des Prädiktors irgendein Stromimpuls auch nur um den Bruchteil einer Sekunde verspätet hätte. Als ein zerschmettertes Gespensterschiff würde der »Kosmokrator«, im Strom der Meteore mitgerissen, von einer Unendlichkeit zur anderen fliegen.
    Ich war neugierig, ob der Astronom sein Versprechen halten werde, das er mir am Morgen gegeben hatte. Er hielt es. Als wir uns am späten Abend wieder um den runden Tisch versammelten, erzählte uns Arsenjew ein Erlebnis aus seiner Jugend:
    »Mein Vater war Astronom. Sie haben bestimmt in der Schule seinen Namen gehört, der für immer mit der Theorie der Verschiebung der Spektrallinien und der Resynthese der Materie aus Photonen verbunden ist. Ich kam im Schatten seines gewaltigen Ruhmes zur Welt und wuchs darin auf. Der Vater überragte mich wie ein Berg.
    Alles, was ich während meiner Studien anpackte, jedes für mich noch so gigantische Problem war für ihn nichtig, geringfügig, nicht wert, auch nur mit einem Wort erwähnt zu werden. Nur eines hatte ich ihm voraus: ich war jung. Als ich mich auf meine Doktorarbeit vorbereitete, lehnte ich das Thema, das er mir vorschlug, ab. Ich wollte alles allein schaffen, ich war ja auch erst zwanzig Jahre alt. Manchmal sagte ich im Scherz zu ihm: ›Von dir wird es später heißen: ach, das ist ja der Vater des berühmten Arsenjew.‹ Vorderhand war aber noch immer das Gegenteil der Fall. Ich war so ungeduldig, daß ich versuchte, die Hindernisse, die ich verstandesmäßig nicht überwinden konnte, durch bloße Leidenschaft zu nehmen. Mein Vater beobachtete mich ruhig und schweigend wie einen seiner Himmelskörper. Einmal eilte ich mit einer Idee zu ihm, die mir ganz außergewöhnlich erschien. Er hörte mir zu undäußerte dann seine Meinung sachlich und erschöpfend, wie auf einem Seminar. Meine Idee war nicht neu, ein französischer Astronom hatte sie schon zwanzig Jahre vor mir gehabt.
    ›Du baust auf Sand‹, warnte mich der Vater. ›Die Wissenschaft besteht aus zwei grundlegenden Dingen, erstens aus Messungen und Beobachtungen, aus dem geduldigen, rastlosen Sammeln von unzähligen Tatsachen, die aufgezeichnet und ausgewertet werden müssen. Auf diese Weise wird in einem riesigen Katalog versucht, die unendlich vielfältigen Formen der Materie zu erfassen. Zweitens besteht die Wissenschaft – aus Erleuchtung, die manchmal in einer einzigen Sekunde dem Forscher das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis der Erscheinungen klarwerden läßt. Diese Erleuchtung kommt sehr selten und ist die Gabe einiger weniger. So manches Wissenschaftlerdasein geht nach vielen Jahren undankbarer und mühseliger Sammel- und Beobachtungstätigkeit zu Ende, ohne daß es jemals von dem Blitz einer großen Erkenntnis erhellt wurde. In den Namen jener, die durch umwälzende Entdeckungen unsterblich wurden, sind die Namen Tausender

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