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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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geworden ist. Ebenso lieben wir alle die Erde, und ebensowenig werden wir uns dessen bewußt. Wir nehmen sie hin als das Allgegenwärtige, das Notwendige, das Selbstverständliche. Wahre Werte erkennen wir erst, indem wir sie verlieren.
    Ja – es ist für mich eine sehr schmerzliche Erinnerung; denn ich verlor damals nicht nur den Vater, sondern auch den unklaren, aber mächtigen blinden Glauben der Jugend, daß ihr nichts widerstehen, daß sie alles erobern könne und auf nichts zu verzichten brauche. Doch die Augenblicke, in denen mit diesen irrigen Anschauungen gebrochen wird, machen die Menschen stärker und reiner. Die Idee von einer Welt vollkommenen Glückes kann nur dem Gehirn eines Dummkopfes entspringen; denn selbst in der vollkommensten Welt wird immer der Himmel, das Weltall mit dem Rätsel seiner Unendlichkeit über den Menschen sein, und ein Rätsel bedeutet Unruhe. Und das ist gut so; denn Unruhe treibt uns zum Denken.«
    Nachher, als die anderen bereits in ihre Kabinen gegangen waren, wandte sich Arsenjew an mich: »Bleiben Sie noch hier? Wir können ja noch eine Weile Radio hören.«
    Ich nickte. Eine Zeitlang saßen wir schweigend in den Polstersesseln. Aus dem eingebauten Lautsprecher floß gedämpfte Musik: Tschaikowski ... Als sie verstummte, trat Stille ein, so vollkommene Stille, wie man sie auf der Erdewohl nur in den entlegensten Einöden findet – am Meer oder in den Bergen. Es schien uns, als wären wir in dem unbeweglichen, von weichem Licht durchfluteten Innern dieser Kabine jenseits von Zeit und Raum. Hell glühte zwischen den Sternen im Leuchtschirm der bläuliche Funken Erde. Arsenjew fragte mich nach meiner Jugend. Ich erzählte ihm von meinem Großvater, den ersten Bergwanderungen, vom Kaukasus. Den kannte er sehr gut. Er hatte viele der Gipfel bestiegen, die ich in Gedanken beinahe schon zu meinem Eigentum erklärte. Wir sprachen von sturmumwehten Graten, von den Lagern, deren Insassen im Schneesturm erfroren waren, von den tollkühnen Klettereien, bei denen das Leben manchmal von der Reibung eines Sohlennagels an einem Stein abhängt, von tückischem Schnee und lockerem Gestein, das unter der zugreifenden Hand zerbröckelt, und von jenen Augenblicken, da man endlich auf dem letzten, höchsten Felsen eines Gipfels steht.
    Unser Gespräch wurde von immer längeren Pausen unterbrochen. Wir wechselten nur noch kurze, abgerissene Sätze, die einem Laien unverständlich gewesen wären. Sie beschworen jedoch so starke und deutliche Bilder herauf, daß die Zeit, die uns davon trennte, zu einem Nichts wurde. Ich hatte das Gefühl, Arsenjew schon wer weiß wie lange zu kennen, und wunderte mich plötzlich, daß ich nicht einmal seinen Vornamen wußte.
    Ich fragte ihn danach.
    »Pjotr«, antwortete er.
    »Sind Sie allein?«
    Er lächelte. »Nein, ich bin nicht allein.«
    »Ich denke nicht an Ihre Arbeit«, sagte ich, und es war mir auf einmal ein bißchen peinlich, ihn so auszufragen, »auch nicht an die Eltern.«
    Er nickte zum Zeichen, daß er mich verstand. »Ich bin nicht allein«, wiederholte er und sah mich an. »Und Sie? Steht nicht gerade in diesem Augenblick ein Mädchen im Garten und schaut in den Himmel, dorthin, wo die weiße Venus schimmert?«
    Ich schwieg, und er faßte es als Verneinung auf. Er hob den Kopf. Langsam schwand sein Lächeln. Ich folgte seinem Blick, der auf die Erde wanderte. Aus dem dunklen Leuchtschirmfunkelte sie uns entgegen; sie war zu unserem Stern geworden.
    »Heute, Pilot! – aber morgen? Das können Sie noch nicht wissen. Unter den Milliarden Menschen, die da arbeiten, Erfindungen machen, Häuser und künstliche Atomsonnen bauen, die sich vergnügen, sorgen und freuen, unter all den unzähligen Wesen ist und lebt auch für mich eine. Eine, Pilot! Verstehen Sie? Eine ...«

Der Flug in die Wolken
    Dreißigster Tag unserer Reise. – Gestern umflogen wir den Asteroiden Adonis in der Nähe des Punktes, in dem seine Bahn die der Venus schneidet. Nun arbeiten die Motoren wieder. Wir verfolgen die Venus, die sich als feine, weiße Sichel vom Himmel abhebt.
    Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern habe ich in meinen dienstfreien Stunden nichts zu tun. In einem Anfall verzweifelter Langeweile nahm ich heute den Motor des Hubschraubers auseinander, reinigte seine ohnedies sauberen, glänzenden Teile und setzte sie wieder zusammen. Ich bemühte mich, für diese Beschäftigung soviel Zeit wie möglich aufzuwenden. Ich habe bereits alle Bücher über Astronomie, die

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