Die Aufsteigerin
würde er mit ihr gehen. Nichts würde ihn in dieser verkommenen Welt halten, sollte Cathy ihn verlassen.
Die Krankenschwestern hatten Angst vor ihm, obgleich sie staunten, mit welcher Fürsorglichkeit er sie wusch, ihr die Haare machte und unermüdlich bei ihr am Bett saß und ihr die Hand hielt. Sie hatten es aufgegeben, ihn bewegen zu wollen, ab und
zu nach Hause zu gehen. Er würde bleiben, solange es dauerte, und das akzeptierten sie.
Cathy lag im Koma, stumm und regungslos. Niemand wusste, ob sie etwas hören, fühlen oder verstehen konnte.
Es war keine Rede davon, das Beatmungsgerät abzustellen. Richard hätte jeden umgebracht, der es versucht hätte.
Kapitel neunundvierzig
Betty musste die übliche Durchsuchung über sich ergehen lassen, als sie Madge in Broadmoor besuchte. Ihre Freundin liebte das Zimmer, das sie dort hatte, und hielt es peinlich sauber. Man hatte sie letztendlich als paranoid schizophren diagnostiziert, und mit ihrer neuen Medikation ging es ihr viel besser.
In Holloway, wohin Gates sie wegen der Verletzung ihrer Bewährungsauflagen hatte einliefern lassen, hatte sie einer anderen Frau wegen einer Nichtigkeit die Nase abgebissen. Auf Anraten zweier Gefängnispsychiater war sie in eine geschlossene Abteilung eingewiesen worden.
Sie würde nie wieder nach Hause entlassen werden.
Betty umarmte ihre Freundin, und sie plauderten eine Weile. Madge machten ihnen Tee, und dann zeigte Betty ihr die Fotos von Kitty und Cathy, die sie mitgebracht hatte.
Madge bestaunte sie mit großer Freude.
»Die kleine Kitty ist das Ebenbild ihrer Mutter. Hat was Irisches. Die schwarzen Haare und den spitzen Haaransatz. Hübsches Mädchen. Darf ich die behalten?«
Betty nickte, und Madge legte die Bilder auf ihren kleinen Nachttisch. Später würde sie sie neben all den anderen an der Wand befestigen.
»Ich wünschte, sie würde mich besuchen. Wie gerne ich sie sehen würde. Cathy war immer so voller Leben, weißt du noch, Betty? Erinnerst du dich, wie sie uns zum Lachen gebracht hat, als sie klein war? Diese riesigen blauen Augen, die uns angeschaut haben.«
Betty nickte und schmunzelte. Das hier war Madge an einem guten Tag. An anderen Tagen verfluchte sie trotz der Einnahme ihrer Medikamente ihr einziges Kind und ihre Enkelin und drohte damit, die beiden, Betty und alle anderen umzubringen, die sie jemals verraten oder auch nur im Geringsten behelligt hatten.
Betty war tieftraurig, wusste aber, dass Madge auf ihre Weise glücklich war. Zumindest so glücklich, wie sie es sein konnte.
Als sie die Fotos von Cathy betrachtete, kamen ihr die Tränen. Wie schrecklich zu wissen, dass sie im Koma lag und langsam starb. Sie hatte Madge davon nichts erzählt - das schien nicht recht zu sein. Sollte sie doch in einer Welt leben, in der alles großartig gewesen war, in der Cathy eine glückliche Kindheit gehabt hatte und Madge eine geachtete Frau gewesen war, eine liebende Mutter und tadellose Hausfrau, die ihrer Familie pünktlich das Essen auf den Tisch brachte. In der Vorstellung war es für Madge und die Tochter, die sie so sehr geliebt hatte, immer so gewesen.
Mr. Cheng ging die Brewer Street entlang. Zu dieser späten Stunde war es auf den Straßen Sohos ruhig. Der kleine Mann schritt selbstgefällig aus. Er hatte keine Angst, weil er wusste, dass ihm sein Ruf zustattenkam. Niemand würde sich trauen, ihm zu nahe zu kommen. In dieser seiner Welt wähnte er sich in Sicherheit.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er einen unauffälligen Hauseingang ansteuerte. Er stieg eine Treppe hinauf und betrat eine winzige Wohnung. Ein zierliches eurasisches Mädchen mit kurzgeschorenem Haar und kaum vorhandenen Brüsten erwartete ihn.
Sie verbeugte sich lächelnd. Ihre weißen Zähne blitzten, und ihre mandelförmigen Augen blickten ihm verheißungsvoll entgegen. In gebrochenem Englisch sagte sie: »Ich habe Sie erwartet, Sir. Es ist alles vorbereitet.«
Cheng zog sich langsam das Hemd aus, während er ihr erwartungsfroh grinsend durch die Wohnung folgte. Als er sich auf das Ledersofa setzte und eine Tasse Kräutertee entgegennahm, hörte er zu seinem Entsetzen eine vertraute Stimme. »Hallo, Mr. Cheng, lange nicht gesehen.«
Richard Gates stand hinter ihm. Cheng ließ vor Schreck seine Teetasse auf den weißen Teppich fallen.
Die Eurasierin zuckte mit keiner Wimper. Ihr Gesicht war zur Maske erstarrt. Richard nickte ihr zu. Sie nahm ihren Mantel und verließ die Wohnung.
Der kleine Mann sah
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