Die Aufsteigerin
zu schätzen.«
Er stand schnell auf, als sich die Tür nochmals öffnete und weitere Prostituierte hereinkamen sowie ein hochgewachsener Afrikaner in einem weißen Anzug und mit einem ledernen Stetson.
Cathy trank ihren Kaffee. Die Schmerzen in ihren Händen ließen langsam nach, und sie konnte sich endlich ein wenig entspannen. Voller Interesse betrachtete sie die fremdartigen Menschen um sich herum. Die Frauen schwatzten und lachten. Wolken von süßlich schwerem Parfüm waberten zu ihr herüber und gemahnten sie daran, wie sie nach der langen Fahrt im Fischlaster riechen und natürlich auch aussehen musste. Wenn sie ein Bett für die Nacht finden und ein Bad nehmen könnte, wenn sie sich umzog und ausruhte, dann wäre sie gewiss wieder fit genug, um Eamonn aufzuspüren. Das war ihr vordringlichstes Ziel.
Ihr war klar, dass sie sich ein paar Tage vom East End fernhalten musste, wie Denise ihr eingeschärft hatte, aber das Geld in ihrer Tasche reichte auf alle Fälle für eine Unterkunft.
Tony Gosa, der unermüdlich freundliche Wirt, brachte ihr eine dritte Tasse Kaffee und winkte ab, als sie ihm Geld anbot. Er schien ihretwegen bekümmert in die Welt zu schauen und beunruhigt zu sein, und für sie war es ein Lichtblick, einem so mitfühlenden Menschen begegnet zu sein.
Allein und verängstigt, wie sie war, konnte sie nichts besser gebrauchen als einen Freund.
Duncan Goodings war siebenundfünfzig Jahre alt, ein rundlicher Mann mit stahlblauen Augen und meistens einem Lächeln auf den Lippen. Er war so dick, wie seine Schwester Mary Barton dünn war. Zudem war er weitaus resoluter als sie, und sogar die eigenen Eltern hatten eingeräumt, dass es diese Entschiedenheit war, die den Sohn zu einer gleichermaßen starken wie verstörenden Persönlichkeit machte.
Er war von deren Ehemann ins Haus seiner Schwester gerufen worden und erschien wie gewohnt makellos gekleidet in seinem Dreiteiler, so dass sich Mr. Justice Barton allmählich fragte, ob etwas Wahres an der verbreiteten Ansicht war, dass dieser Mann niemals schlief. Er wirkte so wach und gepflegt wie ein Mann, der morgens um neun Uhr auf dem Weg in sein Büro in der City ist.
Zum Glück für Mary war ihr Ehemann die vielleicht einzige Person, die Duncan Goodings einzuschüchtern vermochte. Ob es allein an der Körpergröße des Richters lag, an seinem beeindruckenden Auftreten oder seiner fast unheimlichen Fähigkeit, jede Situation auf Anhieb zu durchschauen, konnte Duncan nicht sagen. Er wusste nur, dass sein Schwager von ihm verlangte, der Schwester zu helfen. Und zwar in Rekordzeit. Und jetzt sollte er erfahren, wobei.
Er nahm den doppelten Scotch an, den sein pferdegesichtiges
Biest von Schwester ihm reichte, und brachte trotz großer Anstrengung kein Lächeln zustande. Es kam ihm eher so vor, als würde sein Gesicht zur Maske erstarren. Mitten in der Nacht hierherbeordert zu werden und seine junge Frau allein im Bett zurücklassen zu müssen, empfand er nicht gerade als Vergnügen. Aber viel Vergnügen hatte er in diesem Haus ohnehin noch nie erlebt. Die Kinder seiner Schwester hatten dem imposanten Heim den Rücken gekehrt, kaum dass sie ihr Studium abgeschlossen hatten. Duncan konnte sie sehr gut verstehen. Alles war besser, als mit diesen beiden Menschen zusammenzuleben.
»Also, worum geht es?« Der selbstgefällige Gesichtsausdruck seines Schwagers sprach Bände, und Duncan hörte sich mit zunehmendem Unbehagen die konfusen Ausführungen seiner Schwester an. Er hatte gleich gewusst, dass er mit BiBi, seiner jungen, mageren, aber sehr vielseitigen eurasischen Ehefrau, hätte im Bett bleiben sollen.
Er hatte mit Herz und Seele das Ziel verfolgt, die Spitzenposition in der Sozialfürsorge zu erreichen, und jetzt erkannte er zweifelsfrei, dass man von ihm verlangen würde, etwas Illegales und zudem Unmoralisches zu tun. Bei all seinen Fehlern, und er wusste, wie zahlreich diese waren, hatte er doch niemals im Leben seine Vertrauensposition missbraucht. Im Gegenteil, er hatte sich immer seiner Integrität und seiner Fairness gegenüber den Untergebenen gerühmt.
Als er Marys mieser Geschichte über missbrauchte Macht lauschte, erkannte er eine Möglichkeit, diese Situation zu seinen eigenen Gunsten umzumünzen. Hier eröffnete sich die Chance, die er brauchte, um sich die Schwester vom Hals zu halten. Manchmal kam er nur höchst widerwillig ihrem Ansinnen nach, wie zum Beispiel zum Abendessen ohne seine geliebte BiBi zu erscheinen und zudem
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