Die Aufsteigerin
nachdem sie behutsam die Handschuhe ausgezogen hatte, betrachtete sie entsetzt ihre Finger. Die meisten Nägel waren abgefallen, und die Haut darunter war wund.
Als der Grieche hinter der schmuddeligen Theke das bemerkte, schüttelte er mitleidig den Kopf.
»Bleib da sitzen, Kleines. Ich bring dir deine Bestellung. Was ist denn passiert? Ein Unfall oder so? Ich würde sagen, die muss sich unbedingt ein Arzt ansehen. Bleib schön sitzen und wärm dich erstmal auf.«
Dankbar machte sie es sich bequem, und der Mann brachte ihr Kaffee und Toast.
»Lass mich mal sehen. Ich tu dir nicht weh.«
Sie war der einzige Gast in der Kaffeebar und deswegen nervös. Als er das spürte, lachte er, und sein großes rundes Gesicht strahlte freundlich.
»Keine Sorge. Ich fresse schon lange keine kleinen Mädchen mehr - ich knabbere höchstens an ihren Fingern.«
Cathy musste unwillkürlich schmunzeln, und er lächelte zurück. Dabei zeigte er unregelmäßige, aber schneeweiße Zähne. Er untersuchte ihre Hände und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann nahm er vorsichtig ihre Handgelenke und fragte: »Hat man dich etwa gefesselt, Mädchen?«
Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Ich war nur krank, sonst nichts.«
Der Mann musterte sie. Dann sagte er: »Ich glaube nicht, dass sie verbunden sein sollten, die Luft wird ihnen guttun. Aber du musst sie absolut sauber halten, verstehst du?«
Cathy nickte.
»Du stinkst wie ein altes Fischweib, Mädchen. Du brauchst ein Bad, was anderes zum Anziehen und eine Menge Ruhe, so
wie ich das sehe. Trink deinen Kaffee und iss. Ich kümmere mich dann später um dich.«
Während er sprach, ging die Tür auf, und zwei Frauen kamen herein. Cathy sah gleich, dass es Prostituierte waren. Sie hatten dieselbe Art drauf wie Madge. Sie schenkten ihr nur einen flüchtigen Blick und setzten sich. Sie unterhielten sich angeregt und lachten fröhlich.
Cathy aß unbehelligt ihren Toast und trank den heißen Kaffee in kleinen Schlucken. Sie spürte, dass ihr Körper allmählich warm wurde, aber die Schmerzen in ihrer Hand waren inzwischen kaum mehr erträglich.
Der Grieche brachte zwei weiße Pillen und trug ihr auf, sie zu nehmen, denn sie würden die Schmerzen lindern. Sie schluckte sie, ohne zu fragen, um was für welche es sich handelte. Ihre Hände waren so wund, dass sie alles genommen hätte.
Er brachte ihr noch einen Kaffee, und sie lächelte ihn dankbar an. Sie zog eine Fünfpfundnote hervor und streckte sie ihm entgegen. Wie gepeinigt kniff er die Augen zu, denn er hatte durchaus die Seitenblicke der beiden Prostituierten am anderen Tische bemerkt.
»Was machst du denn da, Mädchen? Steck das Geld weg, um Himmels willen. Du bettelst ja geradezu darum, beklaut zu werden. Die beiden da drüben würden die eigene Mutter umbringen für ein paar Pfund.«
Als er ihr erschrecktes Gesicht sah, wurde er nachsichtig, setzte sich zu ihr und sage freundlich: »Hör mal - du bist in Soho und siehst aus wie eine Ausreißerin. Ich treffe ständig welche wie dich. Sie kommen her, weil sie glauben, dass sie hier ein gutes Leben finden, dass hier alles besser sein wird. Das geschieht aber höchst selten. Du bist doch noch ein kleines Mädchen. Um weiter an Geld zu kommen, bleibt dir nichts anderes übrig, als mit Männern zu schlafen. Verstehst du? Also, wovor auch immer du weggelaufen bist, schlimmer als hier kann es nicht gewesen sein. Trink deinen Kaffee - der geht aufs Haus - und geh so schnell
wie möglich zurück, wo du herkommst. Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede.«
Cathy ließ ihn aussprechen und zuckte dann die Achseln. Allem Anschein nach hielt er diese Rede oft, denn die Wörter klangen fast wie einstudiert.
»Ich bleibe nur ein paar Tage, dann gehe ich zu Freunden«, sagte sie.
Der Cafébesitzer lächelte bekümmert. »Den Spruch kenn ich auch schon. Bleib einfach hier sitzen, wärm dich auf und fühl dich wohl. Ich hab die ganze Nacht geöffnet und nichts dagegen, wenn du bleibst. Ich bitte dich nur darum, darüber nachzudenken, was ich dir gesagt hab, hm?« Er lächelte. Cathy lächelte. »Ich habe eine Freundin, die du vielleicht kennenlernen solltest, eine Lady mit einer kleinen Privatpension. Wenn du möchtest, kann ich sie anrufen. Sie schuldet mir eh noch einen Gefallen.«
Cathy strahlte. »Haben Sie vielen Dank, Mr. …?«
Der Mann nickte erfreut. »Tony Gosa - man nennt mich Tony Gosa.«
»Danke, Mr. Gosa. Ich weiß Ihre Hilfe
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