Die Augen der Medusa
dem Kopfhörer. »Move!«
Munì warf die Maschinenpistole auf den Rücken und kletterte auf allen vieren den Hang hoch. Der Einsatzleiter würde sich wieder melden, wenn alle Gruppen ihre Position erreicht hatten und die Lage genau eingeschätzt werden konnte. Unschuldige Opfer waren unbedingt zu vermeiden, und sobald der Zugriff eingeleitet war, musste man ihn durchziehen. Da gab es kein Zurück mehr.
»Go, go, go«, wäre dann das Kommando, und sie würden losstürmen, gleichzeitig durch Türen und Fenster eindringen, blitzschnell, schwarz wie die Nacht, bis die Blendgranaten zündeten. Munì und seine Kameraden würden den überraschten Gegner überwältigen, bevor er auch nur den Finger krümmen konnte. Sie würden die Situation unter Kontrolle bringen und die Geiseln befreien, wie sie es gelernt hatten.
Munì drückte sich neben Nummer 3 an die Hauswand. Sie lauschten, sahen auf die vier Spuren zurück, die sich durch die Schneefläche nach oben zogen. Kein verdächtiges Geräusch war zu hören. Vorsichtig brachten sie ihre Waffen in Anschlag. Nummer 1 nickte. Sie glitten an derWand entlang bis zum Hauseck. Munì überstieg den hüfthohen Maschendrahtzaun als Erster und durchquerte den verschneiten Gemüsegarten bis zu einem kleinen Schuppen. Er kauerte sich in dessen Schatten, spähte auf die Straße hinaus. Die Laternen standen im Abstand von ungefähr vierzig Metern. Sie leuchteten mattgelb. Nichts bewegte sich.
Nummer 2 war hinter ihm. Munì spürte ihn mehr, als dass er ihn kommen gehört hätte. Lautlos wie die Nacht. Nummer 3 zog vorbei, überwand blitzschnell das Türchen zur Straße hin. Lächerliche achtzig Zentimeter hohe Holzlatten. Munì fragte sich, wieso jemand einen Zaun setzte, der nicht das geringste Hindernis darstellte. Auf der anderen Straßenseite verschmolz Nummer 3 mit einem Hochspannungsmast.
Nummer 2 ging links vor, ein dunkler Schatten, der dicht an den Büschen entlang durch das Laternenlicht huschte. Munì und Nummer 1 folgten. Noch waren sie am Ortsrand. Die geduckten Häuser standen einzeln, unterbrochen von kleinen Gärten mit vereisten Obstbäumen und dürren Heckenrosen, doch bald senkte sich die Straße in den Ortskern hinab. Links waren nun graue Felsen, aus denen der Kirchturm gedrungen hervorwuchs. Rechts schloss sich die Häuserreihe. Irgendwo kläffte ein Hund. Drei, vier Mal, dann hörte er wieder auf.
An der Biegung stoppten sie. Zur Seite hin öffnete sich die Piazzetta vor der Kirche. Die Tür der Bar war geschlossen. Im Spalt über der Schwelle schimmerte ein dünner Streifen Licht auf. Munì glaubte leise Stimmen zu hören, doch er war sich nicht sicher. Die beiden Bäume auf der Piazzetta waren geschnitten worden. Was von den Ästen noch übrig war, ragte wie verstümmelte Gliedmaßen nach oben. Auf der Steinbank darunter lag verkrusteter Schnee.
Nummer 1 ging voran. Sie mieden die offene Piazzetta, blieben im Schatten der Mauern und tauchten in eine abfallende Gasse ein. Die Häuser waren nun zweistöckig undlehnten sich aneinander. Munì sicherte nach oben zu den dunklen Fenstern hin. Die Gasse war so eng, dass man sich über sie hinweg die Hände hätte reichen können. Der Mond stand zu tief, doch im schmalen Band zwischen den Dächern blinkten ein paar Sterne auf. Deckung gab es kaum. Sie huschten von Hauseingang zu Hauseingang, sicherten, ließen die anderen vorbei, drückten sich hinter Regenrinnen, sicherten. Alles klar. Weiter!
Eine Lücke tat sich zwischen den Häusern auf, und da war schon die Treppe. Steinstufen, die um ein paar Ecken hinunter zur Piazza führten, von deren anderem Ende sich gerade die dritte Einsatzgruppe nähern musste. Nummer 1 gab ein Handzeichen. Sie schlichen zum ersten Treppenabsatz hinab und kauerten sich in den Schatten der Steinbrüstung. Das Zielobjekt war im Licht der Laterne auf der Piazza klar zu erkennen. Das unscheinbare Haus war an den Hang gebaut, über den Stufen zur Eingangstür im Obergeschoss führten. Das hatte früher einen Laden beherbergt, hatte dann lange leer gestanden, diente seit kurzem einer kleinen Softwarefirma als Büro und, wenn die erhaltenen Informationen stimmten, diese Nacht einem Terroristen und Geiselnehmer als Schlupfwinkel. Ein Raum von circa fünfundzwanzig Quadratmetern unter einer Dachterrasse, die vom dahinterliegenden Haus erreichbar war. Von dort würde die zweite Sturmeinheit kommen. Über das schmiedeeiserne Geländer und an Seilen durch die Fenster, die jetzt dunkel waren. Das
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