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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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hatten ihre Interessen, wollten ihre eigenen Ziele erreichen, sagten und taten, was sie wollten, und nicht, was ihnen irgendein Drehbuch vorschrieb. Sie waren doch keine Schachfiguren, die man hinund herschob! Andererseits war nicht schwer vorauszusehen, was jemand sagte und tat, wenn man ihm eine Pistole auf die Brust setzte. Er würde die Hände heben und »Bitte nicht schießen!« stammeln. Man konnte Menschen unter Druck setzen, man konnte sie zwingen, in eine ganz bestimmte Richtung zu gehen, und wenn man es nur geschickt genug anstellte, konnte man sie sogar glauben machen, dass sie sich freiwillig dafür entschieden hatten. Hatte Marisa nicht selbst das beste Beispiel dafür geliefert, als sie von zu Hause ausgezogen war?
    Im Fernsehen ging der Abspann der Serie nahtlos in Werbung für die folgenden Events über. Marisa hatte nicht mitbekommen, wie die Folge geendet hatte. Wahrscheinlich auf dem Höhepunkt einer Auseinandersetzung oder alsHerr X in einer Schublade Briefe entdeckte, die seine Frau von ihrem Geliebten erhalten hatte. Marisa schaltete den Apparat aus und hörte auf die Stille, die sich augenblicklich im Salotto breitmachte. Die Idee, die sich in ihrem Kopf herausgebildet hatte, blieb. Vielleicht, weil es sich in diesem leeren Haus mitten in einem besetzten Dorf so anfühlte, als hätten Marisa und die anderen wirklich nur Nebenrollen inne, in die sie jemand ohne ihren Willen hineingedrängt hatte. Dann torkelten sie genauso von dramatischem Ereignis zu dramatischem Ereignis wie die Figuren einer Telenovela. Sie litten und lachten, sie intrigierten und strampelten sich ab und waren doch nur Teil einer gigantischen Inszenierung, die sie verwirklichten, ohne es zu ahnen.
    Mal angenommen, es gäbe wirklich ein Drehbuch, dann sollte es doch möglich sein, herauszufinden, worauf das Ganze hinauslief. Man musste nur aufhören mitzuspielen und stattdessen genau zusehen, was geschah. Wie bei jeder TV-Soap durfte man sich nicht von der Geschichte einfangen lassen. Wer mitheulte, hatte schon verloren. Doch Marisa wusste, wie man das vermied. Bei romantischen Fernsehkomödien wurde ihr die eigene Rührseligkeit manchmal zu peinlich, vor allem wenn Donato neben ihr saß und sich über ihre feuchten Augen lustig zu machen drohte. Dann sagte sie sich vor, dass das ja nur ein Film sei. Wenn sie darauf achtete, auf welche Weise Drehbuchschreiber und Regisseur ihre Emotionen hervorriefen, wirkten sie schon nicht mehr.
    Wie? Warum? Zu welchem Zweck? Das waren die Fragen, die man nüchtern klären sollte, statt sich von dem fesseln zu lassen, was passiert war und noch passierte. Marisa nippte an ihrem Wasser. Seit dem Attentat hatte sie keine einschlägige Fernsehsendung verpasst und jeden Zeitungsbericht verschlungen, den sie bekommen konnte. Was über die Geschehnisse in Montesecco an die Öffentlichkeit gedrungen war, wusste sie, und dazu noch einiges mehr. Doch diese Informationen nützten gar nichts, wenn siesich nicht mit ganz simplen Fragen klarmachte, was all das bedeutete. Von Anfang an. Warum hatte ein Terrorist Oberstaatsanwalt Malavoglia ermordet? Weil er ihn für einen Volksfeind hielt, der für die Strafverfolgung von Linksradikalen mit dem Tode bestraft werden musste. Und zu welchem Zweck hatte der Täter dann Geiseln genommen? Natürlich, um seine gefangenen Gesinnungsgenossen freizupressen.
    Beides klang logisch. Marisa nahm noch einen Schluck Wasser und schüttelte den Kopf. Jede Begründung für sich hätte logisch geklungen, der Zusammenhang blieb jedoch unklar. Es handelte sich schließlich um zwei grundverschiedene Taten mit unterschiedlichen Zielen. Warum hatten sich der oder die Terroristen nicht auf eine davon konzentriert, sie durchgezogen und in Ruhe die nächste anvisiert? Und wenn man schon unbedingt beides verbinden wollte, hätte es dann nicht nahegelegen, Malavoglia als Geisel zu nehmen? Vier namenlose Polizisten waren als Austauschobjekt sicher nicht so wertvoll wie ein berühmter Oberstaatsanwalt. Bei Aldo Moro damals erschossen die Brigadisten ja auch die Männer der Leibwache, um den Politiker entführen zu können, und nicht umgekehrt. Malavoglias Wagen auf der einsamen Landstraße zu stoppen und einen Mann, der nur mit seinem Chauffeur unterwegs war, lebend herauszuholen, hätte entschlossenen Terroristen nicht gerade unmöglich erscheinen sollen.
    Gab es also gar keinen Zusammenhang zwischen den Taten? Waren etwa zwei unterschiedliche Gruppen am Werk gewesen? Dagegen sprach die

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