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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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auf den Ortsausgang zu. Vannoni rannte hinterher.
    Wo die Teerstraße in den steil abfallenden Feldweg überging, sah Vannoni, dass die Ambulanz zwar unten die Polizeisperre passiert hatte, aber jetzt nicht weiterkam. Ein weißer Fiat war die Zufahrtsstraße nach Montesecco hochgekrochen und konnte nicht ausweichen, weil beide Straßenränder von den Pressefahrzeugen zugeparkt waren. Mit langen Schritten hetzte Vannoni den Berg hinab. Er stolperte, rutschte, schlitterte auf dem Schnee, wäre fast gestürzt, fing sich gerade noch an einem der dort aufgestellten Halteverbotsschilder, rannte weiter. Hundert Meter unter ihm rollte der Fiat nun langsam zurück. Der Krankenwagen stieß mit ungeduldig rotierendem Blaulicht nach. Die Sirene war ausgeschaltet worden, stattdessen hörte Vannoni nun ein lautes Knattern, und als er keuchend am Polizeiposten anlangte, drehte ein Hubschrauber über den Dächern von Montesecco ein, ging tiefer, hielt auf einFlachstück an der Straße nach Pergola zu. Vannoni sah, dass der Fiat nun eine Lücke fand, in die er ausweichen konnte, der Fahrer der Ambulanz gab Gas, Vannoni rannte, und der Hubschrauber landete unweit der Stelle, wo es links nach Madonna del Piano abging. Das war fast einen Kilometer entfernt. Vannoni würde es nicht schaffen.
    Hinter ihm hupte es. Er blieb stehen, drehte sich um. Ein Wagen mit Presseleuten. Vannoni ging zur Fahrerseite und klopfte ans Fenster, das sich einen Spalt öffnete.
    »Nehmt mich mit!« Vannoni schnappte nach Luft.
    »Wir sind voll«, sagte der Fahrer. Neben ihm saß eine Reporterin, hinten zwei andere. Einer hatte einen Fotoapparat umhängen.
    »Ich bin ihr Vater!«, stieß Vannoni hervor. Er rüttelte an der Autotür. Sie war verschlossen. Der Fahrer gab Gas, und Vannoni musste loslassen, um nicht mitgeschleift zu werden. Er rannte weiter bergab, kümmerte sich nicht um die Stiche, die er in der Seite spürte. Der weiße Fiat! Vannoni erkannte nun, dass es der von Luigi, dem Schäfer, war. Unten bei der Abzweigung nach Madonna del Piano hielt die Ambulanz mitten auf der Straße. Zwei Sanitäter sprangen heraus und öffneten die hintere Klappe des Wagens. Der Motor des Hubschraubers lief weiter. Als die Sanitäter eine Bahre auf den Einstieg zutrugen, flatterten ihre Kittel im Wind der Rotorblätter.
    Luigi fragte nicht lange und ließ Vannoni einsteigen, doch bis er endlich gewendet hatte, war es zu spät. Als sie auf die Hauptstraße einbogen, hob der Rettungshubschrauber gerade ab. Die Presseleute waren schon längst an Ort und Stelle. Der Fotograf knipste ein letztes Bild und steckte den Apparat weg. Vannoni ließ Luigi neben dem Krankenwagen anhalten. Einer der Sanitäter schloss gerade die Heckklappe.
    »Hat sie etwas gesagt?«, fragte Vannoni.
    Der Sanitäter zögerte einen Moment. Irgendetwas in Vannonis Blick schien ihn jedoch zu überzeugen, dass erdie Auskunft nicht verweigern sollte. Er sagte: »Sie ist nicht ansprechbar, hat immer nur einen Namen vor sich hin gemurmelt.«
    »Welchen Namen?«
    »Minh«, sagte der Sanitäter. »Minh, Minh, Minh.«
    »Wohin wird sie gebracht?«
    »In die Chirurgie der Uniklinik von Ancona.«
    »Danke!«, sagte Vannoni. Er bat Luigi, ihm das Auto zu leihen. Der bestand darauf, ihn zu chauffieren. Er fuhr, so schnell es ging, aber sie brauchten dennoch eine geschlagene Stunde, bis sie in der Via Baccarani ankamen. Und eine weitere halbe Stunde, bis sie in dem verdammten Krankenhaus jemanden auftrieben, der Bescheid wusste. Eine junge Assistenzärztin, die sagte, dass Catia sofort in den OP gebracht worden sei. Der Dienst habende Oberarzt operiere. Nein, wie lange das dauere, könne man nicht abschätzen. Vannoni fragte, ob ihr irgendetwas im Leben heilig sei. Sie antwortete nicht. Was auch immer es sei, sagte Vannoni, er schwöre ihr darauf, dass er hier im Krankenhaus Amok laufen würde, falls er nicht unmittelbar nach Abschluss der Operation über den Ausgang unterrichtet würde. Die Assistenzärztin sah ihm in die Augen. Dann versprach sie, es auszurichten.
    Weitere zwei Stunden später kam der Oberarzt tatsächlich. Er sagte: »Leberdurchschuss mit inneren Blutungen. Beträchtliche Gewebezerstörung um den Schusskanal herum. Dazu sehr beunruhigende Panik-und Schockreaktionen. Ihr Zustand ist kritisch. Fragen Sie mich nicht, wie die Chancen stehen!«
    »Ich will zu ihr«, sagte Vannoni.
    »Kommt überhaupt nicht in Frage! Sie ist auch nicht ansprechbar. Wir haben sie an den Tropf gehängt.

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