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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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schließlich nie genug haben, und irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, bei der sich der eine oder andere revanchieren konnte.
    Außerhalb Monteseccos hatte Marisa nicht viele Freunde, doch eine ganze Reihe von Bekannten, aus denen gut und gern einmal Freunde werden konnten. Ein entfernter Verwandter arbeitete sogar in Rom, zwar nicht bei der Justiz, sondern in der Herrenabteilung des Kaufhauses »Rinascente« am Corso, aber das lag immerhin mitten im Regierungsviertel, so dass sich sicher eine Menge wichtiger Leute dort einkleideten. Marisa rief ihn zuerst an, dann eine Verwaltungsangestellte aus Grottaferrata in den Colli romani, die sie vor Jahren am Strand kennen gelernt hatte, dann alle anderen, bei denen nur die leiseste Hoffnung bestand, dass sie jemanden kannten, der jemanden in der Staatsanwaltschaft Rom kannte.
    Angesichts ihrer Erfahrungen mit den Journalisten verzichtete Marisa darauf, die Zusammenhänge zu erklären. Sie sagte nur, dass sie so genau wie möglich wissen müsse, womit Oberstaatsanwalt Malavoglia in den Tagen vor seiner Ermordung befasst war. Es gehe um Leben oder Tod. Wenn es nicht wirklich wichtig wäre, hätte sie, Marisa, nie gewagt, ihre alten Freunde trotz der vorgerückten Stundedamit zu behelligen. Im übrigen müsse man unbedingt mal wieder etwas gemeinsam unternehmen, es sei doch eine Ewigkeit her, seit man sich zuletzt gesehen habe. Und ja, Donato gehe es ausgezeichnet, er lasse grüßen.
    Dann hieß es warten. Vor dem nächsten Morgen würde sich sicher nichts ergeben. Marisa stellte das Telefon auf der Lehne von Catias Sofa ab, kuschelte sich in die beiden Wolldecken und schaltete das Fernsehgerät ein.

4
Giovedì, 17 gennaio
    Es war eine Mordssauerei. Angeblich hatte der Krisenstab eine Batterie chemischer Toiletten angefordert, deren Lieferung sich aber aus Gründen, über die keine einhellige Auskunft zu erhalten war, bis auf Weiteres verzögerte. Die zwei azurblauen Kabinen, die vor dem ehemaligen Pfarrgarten an der Piazzetta aufgestellt waren, reichten hinten und vorne nicht. Lange Schlangen konnten nur deshalb vermieden werden, weil es keiner der Betroffenen aushielt, länger als ein paar Sekunden zu warten, und dann im Pfarrgarten verschwand. Offensichtlich handelte es sich um eine ernstzunehmende Epidemie.
    Das war auch der Hauptgrund, warum die Bewohner von Montesecco sich weigerten, die Staatsmacht ihre eigenen Örtlichkeiten mit benutzen zu lassen. Schließlich konnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine ansteckende Krankheit eingeschleppt worden war. Der Polizeiarzt sprach zwar von einem simplen Brechdurchfall, der höchstwahrscheinlich durch eine Lebensmittelvergiftung ausgelöst worden sei, aber die Tatsache, dass seine Krankenstation in der Sebastianskapelle einem überfüllten Lazarett des Ersten Weltkriegs glich, sprach nicht unbedingt dafür, dass er alles im Griff hatte.
    Zweiundzwanzig Staatspolizisten, praktisch die gesamte Schicht, die in der Nacht zuvor an den Straßensperren gewacht hatte, lagen darnieder. Das Mitleid der Dorfbewohner hielt sich in Grenzen. Man hatte wahrlich drängendere Probleme zu bewältigen. Einzig die alte Costanza Marcantoni bot freiwillig ihre Dienste an. Zwar könne sie keine Fachausbildung als Krankenschwester vorweisen, doch habe sie sich zeit ihres Lebens intensiv mit der Wirkungvon Kräutern und Tinkturen beschäftigt, so dass sie sich durchaus zutraue, zu einer wirksamen Behandlung der Kranken beizutragen. Ob es sich dabei um Deutsche oder Italiener handle, spiele keine Rolle. Wichtig sei doch letztlich nur der Erfolg. Der Polizeiarzt lehnte das Angebot dankend ab, auch weil die Patienten der etwas verwirrt wirkenden Lazaretthelferin wenig Vertrauen entgegenzubringen schienen.
    Nicht nur, um die krankheitsbedingten Ausfälle zu kompensieren, waren frische Polizeikräfte aus Pesaro herangekarrt worden. Die Einsatzleitung hatte unmittelbar nach dem Durchbruch von Catia Vannoni den Befehl erteilt, die Straßensperren personell aufzurüsten. Eine Reihe zusätzlicher Doppelposten sollte im Abstand von mindestens zehn Metern zu den bereits existierenden Stellung beziehen, so dass der zweite Trupp gewarnt und einsatzfähig wäre, wenn der erste durch einen Überraschungsangriff ausgeschaltet würde. Damit entstand um die rote Zone, die die Piazza mit ihren Zugängen einschloss, eine neue, sogenannte gelbe zwischen den beiden Postenreihen. Da die ursprünglichen Absperrungen am äußersten Rand des Gebiets

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