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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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lagen, das sicherheitstechnisch als unbedenklich gelten konnte, blieb nichts anderes übrig, als die gelbe Zone in den bisher frei zugänglichen Teil Monteseccos hinein auszuweiten.
    Dass damit die Bewegungsfreiheit der Dorfbewohner weiter eingeschränkt wurde, hätte man noch verschmerzen können. Es war sowieso zu kalt, um in den Gassen spazieren zu gehen. Problematisch war jedoch, dass einige Häuser, wie zum Beispiel das von Lidia Marcantoni, innerhalb des neu errichteten Sperrgebiets zweiter Klasse lagen. Die Einsatzleitung ordnete trotz erbitterter Proteste zuerst auch deren Evakuierung an, hatte aber nicht mit Lidia gerechnet, die direkt vor der Tür des Pfarrhauses ein Igluzelt aufschlug und ankündigte, dort überwintern zu wollen beziehungsweise zu müssen. Ächzend kroch sie in dasZelt, zog ihre Schuhe samt Strümpfen aus und zeigte allen, die es sehen wollten, dass ihre Zehen noch nicht von Erfrierungen verunstaltet waren. Noch nicht! Die Kameramänner der diversen TV-Anstalten stürzten sich auf die pittoreske Szene, und so blieb den Verantwortlichen keine Wahl, als einzulenken.
    Man einigte sich in zähen Verhandlungen auf eine Passierscheinregelung. Zugang zur gelben Zone sollte nur haben, wer durch einen zu diesem Zweck ausgestellten Ausweis als zugangsberechtigt identifiziert werden konnte. Den Schein bekamen ausschließlich die betroffenen Anwohner ausgehändigt. Die wachhabenden Polizisten wurden angewiesen, keinerlei Ausnahme zu machen. Auf Besuche von Verwandten oder Freunden könne auch mal verzichtet werden, schließlich sei man nicht zum Spaß hier, sondern wegen eines Verbrechens von nationaler Dimension.
    All das trug keineswegs dazu bei, das von Anfang an gespannte Verhältnis zwischen Dorfgemeinschaft und Polizeikräften zu verbessern. Dennoch beschlossen die Bewohner Monteseccos, der Einsatzleitung ihre Erkenntnisse bezüglich des Geiselnehmers nicht vorzuenthalten. Es ging um Minh, es ging um den Mordversuch an Catia und natürlich auch ein wenig um Montesecco. In die dreiköpfige Delegation, die man vorzuschicken gedachte, hätte man neben Franco Marcantoni und Marta Garzone auch gern Matteo Vannoni als einen Vertreter der in erster Linie betroffenen Familie gewählt, doch der war Catia ins Krankenhaus nach Ancona gefolgt, und niemand wusste, wann er zurückkehren würde. Seine Stelle übernahm Elena Sgreccia.
    Donato, der anscheinend fest damit gerechnet hatte, in die Sprechergruppe berufen zu werden, zog erzürnt zu seinem schlafzimmerlichen Fernsehteam ab. Irgendwann würde er begreifen müssen, dass er seine Position in Montesecco grundlegend verkannte. Selbst wenn er sich Marisa gegenüber anders verhalten hätte, wäre keinem eingefallen,ihn mit solch einer wichtigen Mission zu beauftragen. Schließlich konnte einer, der noch nicht einmal zehn Jahre hier wohnte, schlecht Montesecco repräsentieren.
    Die Vertreter des Dorfs mussten erhebliche Überredungskünste einsetzen, um überhaupt ins Pfarrhaus eingelassen zu werden. Der Ispettore an der Pforte glaubte nicht, dass sie etwas Wichtiges mitzuteilen hätten. Erst als Marta Garzone fragte, ob der Krisenstab entscheidende Fakten lieber aus den Medien erfahre, bequemte sich der Ispettore dazu, seine Vorgesetzten zu informieren. Wenige Minuten später wurde die Delegation hinaufeskortiert, nicht ohne vorher mit Metalldetektoren nach verborgenen Waffen abgesucht worden zu sein.
    Die Sala im ersten Stock hatte einiges mitgemacht, seit das Pfarrhaus vor Jahrzehnten seine ursprüngliche Funktion eingebüßt hatte. Anfangs hatte Lidia Garzone in der Hoffnung, dass der verstorbene Don Igino durch einen neuen Pfarrer ersetzt würde, für Ordnung gesorgt, doch mit der Zeit hatten Spinnen und Mäuse die Oberhand gewonnen. Noch einmal war der Raum auf Vordermann gebracht worden, als Benito Sgreccia vor neun Jahren beschlossen hatte, sich seine letzten Lebenstage in Gesellschaft dreier Nutten aus Rom zu versüßen. Dass er dafür gerade das Pfarrhaus angemietet und unter anderem mit einem riesigen Wasserbett ausgestattet hatte, war nicht bei allen Dorfbewohnern auf Zustimmung gestoßen, doch musste man zugeben, dass er wieder Leben in das alte Gemäuer gebracht hatte. Das rauschende Fest hatte allerdings nur drei Tage gedauert. Nach Benitos Tod waren die neu angeschafften Möbel verkauft, Nutten wie Dienstpersonal fortgeschickt worden, und das Pfarrhaus schien nun seinem endgültigen Verfall entgegenzudämmern.
    Jetzt erinnerte in der Sala

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