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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Sanctis nahm seine Lesebrille ab und verstaute sie sorgfältig. Von dem Orkan, der nun über ihn hereinbrach, schien er völlig unberührt. Einige wenige Fragen waren im allgemeinen Stimmengewirr zu verstehen. Was denn das Menschenmögliche sei, das man zu tun gedenke? Wann mit einem Sturmangriff der Polizeikräfte zu rechnen sei? Ob es stimme, dass der Geiselnehmer ein Ultimatum gesetzt habe, nach dessen Ablauf er die erste Geisel erschießen wolle? Ob andere Zugeständnisse gegenüber den Terroristen, zum Beispiel was die Haftbedingungen betreffe, denkbar seien?
    »Sie werden verstehen, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Fragen beantworten kann« , sagte De Sanctis. Er lächelte freundlich, nahm sein Blatt Papier auf und zog sich unter heftigen Protesten der Medienvertreter zurück.
    »Das war eindeutig«, sagte der Uniformierte mit der ordensgeschmückten Brust. »Wie sollen wir unseren Mann jetzt noch hinhalten?«
    Der Questore befahl, den Text der Presseerklärung wortwörtlich herauszuschreiben. Und zwar dalli. Irgendeinen Knochen werde man schon finden, den man dem tollwütigen Hündchen dort unten an der Piazza zuwerfen könne, bevor es wild um sich beiße. Der Ordensträger schüttelte den Kopf und murmelte, dass Politik bisweilen entschieden zu ernst sei, um sie ruhigen Gewissens den Politikern zu überlassen.
    Die drei Sprecher des Dorfs standen in der Nähe der Tür herum. Keiner aus der Einsatzleitung schien sie auch nur im Geringsten zu beachten. Franco Marcantoni räusperte sich und sagte: »Wegen der Pizza …«
    »Genug!«, unterbrach ihn der Questore. »Beantworten Sie mir nur eine einfache Frage: Würde Frau Vannoni mit Gewalt eine Polizeisperre durchbrechen, nur um zu einem ihr unbekannten Terroristen zu gelangen?«
    »Catia wusste ja nicht, dass ein Fremder …«, sagte Marta Garzone.
    »Und wo, zum Teufel, befindet sich Ihr Minh Vannoni, wenn er nicht da drin Geiseln bedroht?«
    »Der Schinken …«, begann Franco Marcantoni erneut.
    »Hören Sie auf mit diesem Unsinn!«
    »Vielleicht ist Minh ja …«, sagte Marta Garzone.
    »… schnell entschlossen in Urlaub gefahren, was?«, höhnte der Questore. »Ich sage Ihnen, was ich denke. So bedauerlich ihr Alleingang für Frau Vannoni ausgegangen ist, für mich hat sie ihn unternommen, um mit einer Pistole in jeder Hand die Geiseln zu bewachen, damit sich ihr sauberer Sohn mal ausschlafen kann! Dass er noch unberechenbarer ist als gedacht, ändert daran gar nichts. Wir haben es hier mit einer Verschwörung zu tun, und es ist noch keineswegs abzusehen, wer dabei sonst noch seine Finger im Spiel hat.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, zischte Franco Marcantoni.
    »Dass sie alle drei jetzt besser gehen! Ispettore?«
    Einer der Staatspolizisten fasste Franco am Arm. Mit einer heftigen Bewegung machte sich Franco frei. Er sagte: »Bemühen Sie sich nicht! Wir finden den Weg allein.«
    Schließlich waren sie hier zu Hause. Montesecco war immer noch ihr Dorf, auch wenn es im Moment keineswegs so aussah. Draußen auf der Piazzetta traten die drei an die Steinbrüstung, um sich über die Unterstellungen, die Anmaßung und die Unfähigkeit des Questore Luft zumachen. Die Wolkendecke drückte schwer aus dem Himmel und schien auf die verschneite Landschaft abzufärben. Grau in grau lagen Hügel und Täler unter ihnen. Aus einem der Toilettenhäuschen am Pfarrgarten wankte ein Polizist heraus. Er war leichenblass im Gesicht. Es war tatsächlich alles zum Kotzen.
    Von: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    An: »Minh« [email protected]
    Wir sind dabei, die Gefangenen in Rebibbia zusammenzulegen. Für die drei in sizilianischen Gefängnissen Einsitzenden stehen dem noch Schwierigkeiten juristischer Art entgegen, doch wir sind zuversichtlich, diese bald lösen zu können. Geben Sie uns etwas mehr Zeit!
    Von: »Minh« [email protected]
    An: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    Glauben Sie, ich habe die Presseerklärung nicht mitbekommen? De Sanctis hat das Todesurteil für Ihre Leute ausgesprochen. Sie werden nach dem vorgegebenen Zeitplan hingerichtet.
    Von: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    An: »Minh« [email protected]
    Der Öffentlichkeit gegenüber konnte der Innenminister keinen anderen Standpunkt vertreten. Wir bitten Sie, folgende Signale in der Erklärung zu beachten: Der Minister hat seine Entschlossenheit, sich persönlich für die Befreiung der Geiseln einzusetzen, explizit

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