Die Augen der Medusa
höchstens noch das Kaminfeuer daran, dass man sich im ländlichen Montesecco befand. Ansonsten fühlte man sich eher in einen der Spionagefilme versetzt, in denen sich die technischen Zentralender Geheimdienste gern hinter unscheinbaren alten Mauern verstecken. An der Wand zur Kirche hin liefen auf sechs Fernsehapparaten gleichzeitig sechs verschiedene Programme. Drei uniformierte Staatspolizisten saßen davor. Vom restlichen Dutzend Anwesender trug etwa die Hälfte Zivil. Geschäftig taten sie alle. Der Tisch und zusätzlich bereitgestellte Ablageflächen waren mit Computern, Druckern, Telefonanlagen, Aufnahmegeräten, Overheadprojektoren und etlichen undefinierbaren Apparaten bepackt. Das alte Bücherregal an der Stirnseite des Raums wurde von einer ausgezogenen Leinwand verdeckt. Am Flipboard daneben hing eine große Luftaufnahme von Montesecco. Dass sie mit Stecknadeln gespickt war, wirkte in diesem Umfeld altmodisch.
»Sie sehen, wir haben zu tun«, sagte der Questore. »Fassen Sie sich bitte kurz!«
Die drei Abgesandten sahen sich an. Etwas mehr Aufgeschlossenheit hätten sie schon erwartet. Dann mussten sie eben sofort mit dem Knaller herausrücken. Ohne große Einleitung fragte Marta Garzone, ob sich niemand darüber wundere, dass Minh auf seine eigene Mutter geschossen habe.
»Sie glauben gar nicht, wie viele Durchgeknallte es gibt«, sagte der Questore.
»Möglich«, sagte Elena Sgreccia, aber hier liege der Fall anders. Minh sei nicht der Geiselnehmer. Ein anderer gebe sich für ihn aus. Der Questore hob kurz den Kopf von den Schriftstücken, in denen er blätterte, und sagte: »So?«
Franco Marcantoni begann, ihm etwas umständlich auseinanderzusetzen, wie sie das anhand der Pizzabestellung herausgefunden hatten. Der Questore schien völlig in seine Akten vertieft. Wenn er überhaupt zuhörte, machte er jedenfalls unmissverständlich deutlich, dass er von all dem nichts, aber auch gar nichts hielt.
»Minh hat seit drei Jahren weder Schinken noch irgendein anderes Fleischprodukt gegessen«, sagte Elena Sgreccia.»Und wenn Sie bestätigen können, dass der Geiselnehmer nicht irgendwelche, sondern genau die erwähnten Pizze angefordert hat, dann heißt das …«
»Questore!«, rief einer der Polizisten an den Fernsehern dazwischen. »Die Presseerklärung!«
Der Questore fuhr hoch. Fünf der sechs Bildschirme zeigten nun dieselbe Szene, wenn auch aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Ein etwa Fünfzigjähriger in tadellos sitzendem grauem Anzug trat hinter ein Pult, auf dem das Staatswappen und der Schriftzug des Innenministeriums zu erkennen waren.
»Verdammt, der Minister selbst!«, stöhnte ein älterer Uniformierter, auf dessen schmaler Brust die Rangabzeichen und Auszeichnungen kaum Platz fanden.
»Sich einen solchen öffentlichen Auftritt entgehen zu lassen ist nicht De Sanctis’ Art«, sagte der Questore.
»Wir haben ihn angefleht, wenigstens seinen Pressesprecher vorzuschicken, wenn er schon nicht auf die Erklärung verzichten will.«
»De Sanctis haben schon ganz andere vergeblich angefleht.« Der Questore lachte kurz auf.
»Das wird eine Katastrophe werden«, sagte der Uniformierte.
Der Innenminister war auf den Bildschirmen nun in Großaufnahme zu sehen. Er legte ein einzelnes Blatt vor sich ab, rückte ein Mikrofon zurecht und begrüßte die Damen und Herren von den Medien. Dann fingerte er ein flaches Lederetui aus der Anzugjacke. Mit aufreizender Langsamkeit entnahm er ihm eine Lesebrille, die er tief auf die Nase setzte. De Sanctis’ Stimme klang ernst, als er endlich zu sprechen begann: »Wie Sie bereits wissen, meine Damen und Herren, fordert der Geiselnehmer von Montesecco die Freilassung von zwölf Terroristen der Roten Brigaden. Das Schicksal der vier Geiseln liegt mir persönlich sehr am Herzen, und deswegen kann ich Ihnen versichern, dass alles Menschenmögliche getan wird, um sie schnell und unbeschadet in den Schoß ihrer Familien zurückkehren zu lassen. Seit der Entführung von Aldo Moro im Jahr 1978 ist es jedoch unabhängig von der jeweiligen Regierung ein ehernes Prinzip italienischer Politik, dass sich der Staat in keiner Weise erpressbar zeigen darf. Daran hat sich nichts geändert. Verhandlungen über die Haftentlassung rechtskräftig verurteilter Terroristen werden deshalb nicht geführt werden. Wir appellieren eindringlich an den Geiselnehmer, zur Vernunft zu kommen und die Geiseln freizugeben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
Minister De
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