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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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bescherte, als sie zuvor besessen hatten. Richard hatte wieder seine alte Stelle bei seinem Münchner Verlag und ein höheres Gehalt als vor dem Krieg. Und nun endlich waren sie Mann und Frau, nach vierzehn Jahren eines anfangs mehr oder minder verstohlenen und entsprechend umständlichen Zusammenlebens. Richard wollte sofort ein richtiges Zuhause in München, und Esther, die über Tatkraft und Sinn fürs Praktische verfügte, hatte sehr bald ein zweistöckiges Haus in dem vornehmen Stadtteil Bogenhausen gefunden. Richard hatte ihr erklärt, daß man von ihnen zahlreiche Abendeinladungen erwarten würde, wesentlich förmlichere Abende als ihre Abendgesellschaften in England. Er war sehr zufrieden mit dem neuen Haus, zumal es sich angeblich nur drei Häuserblocks von der großen, bür-gerlichen Villa entfernt befand, in der Thomas Mann fünfundzwanzig Jahre lang gewohnt und gearbeitet hatte.
    In der ersten Woche war Esther damit beschäftigt, Tischwäsche und Silber in Ordnung zu bringen – ihr Ei-gentum, das sie aus ihrer vorherigen und ziemlich kata-52
    strophalen Ehe gerettet und aus einer gewissen Sentimen-talität heraus für ebensolche Gelegenheiten aufbewahrt hatte –, zwei Ganztagshausangestellte anzuheuern und den Alltag zu organisieren. Sie rief zwei Münchner Freundinnen an, Greta Schwarzenfeld und Hermione Pieterich, die vor Überraschung und Entzücken kreischten, als sie erfuhren, daß sie wieder da war. Verheiratet obendrein!
    Esther spürte eine gewisse kühle Zurückhaltung, als sie ihnen eröffnete, daß sie Richard Friedmann geheiratet hatte, was an dem jüdischen Nachnamen liegen mochte.
    Greta sagte, sie erinnere sich daran, ihm vor ewigen Zeiten begegnet zu sein. Hermione kannte ihn nicht. »Er ist wieder bei seiner alten Firma, dem Beckhof-Verlag«, sagte Esther. »Ihr müßt uns besuchen, sobald wir aus dem gröbsten Chaos heraus sind.« Das versprachen beide. Esther vergaß die Spur Zurückhaltung. In den ersten Tagen hatte sie viel zu tun. Richard hatte sich sofort in seine Arbeit vergraben, und abends vergrub er sich in seinem Arbeitszimmer, so daß Esther sich um alles übrige allein kümmern mußte, sogar darum, die Karten für Oper und Ballett abzuholen.
    Nach der engen Wohnung in London war es ein herrliches Gefühl für Esther, wieder in einem Haus zu leben.
    Geschlagene sechzehn Jahre. Sechzehn Jahre, seit sie Deutschland nichtsahnend verlassen hatte, um mit Vincente dalla Palma und seiner stupiden Frau einen Monat in Cap d'Antibes zu verbringen. Damals war sie Baronin Esther von Dorhn-Neven gewesen. Hitler war seit drei Jahren an der Macht, und das Gerede von Säuberungen, Aufrüstung und noch schrecklicheren Zukunftsaussichten 53
    dämpfte auf den Berliner Abendgesellschaften bereits die Stimmung. Im Haus ihres Mannes war es noch schlimmer, vor allem wenn jüdische Gäste kamen. Ihr Mann war er-klärter Nazigegner, und Esther erinnerte sich, daß die Regierung ihm schon vor ihrer Abreise aus Deutschland den Zugang zu Chemikalien erschwert hatte, weil er sich ge-weigert hatte, seine zwei Kunststoffabriken in den Dienst der Rüstungsindustrie zu stellen. Die Briefe ihres Mannes waren im Verlauf des Sommers 1936 immer düsterer geworden, so daß Esther sich entschlossen hatte, am Cap zu bleiben. Sie erinnerte sich, daß ihr Mann mit keinem Wort auf Vincente angespielt hatte, obwohl die ganze Riviera wußte, daß sie ein Verhältnis mit ihm hatte. In der ganzen feinen Welt war Esther von Dorhn-Neven seit ihrem sieb-zehnten Lebensjahr für ihre Affären so bekannt wie für ihre Schönheit. Der Baron war ihr dritter Ehemann. Augen hatte er vielleicht, aber sehen wollte er nicht. Doch im Winter von 1936 auf 1937 hielt ein gemeinsamer Freund dem Baron unwiderlegbare Beweise in Form von Fotoberichten in französischen Zeitungen unter die Nase, und der Baron reichte unverzüglich die Scheidung ein. Esther war noch entsetzter als all ihre Freunde, die sich wunderten, daß jemand auf die Idee kommen konnte, sich wegen einer solchen Lappalie scheiden zu lassen. Esther kam es vor, als habe er sich völlig uncharakteristisch verhalten. In Wahrheit verhielt er sich ganz und gar charakteristisch. Esther hatte ihn nur falsch eingeschätzt, genau wie Charakter und Großzügigkeit ihres Liebhabers Vincente. Der Baron setzte sie ohne einen Pfennig vor die Tür, und Graf Vincente dalla Palma, erbost über das öffentliche Aufsehen, ließ 54
    keinen Zweifel daran, daß er nichts mehr mit ihr zu tun haben

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