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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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freier Journalist. »Ja«, antwortete Richard düster. – »Gut, und ich verdiene sieben Pfund in der Woche. Macht zusammen ein Minimum von neunzehn, zwanzig Pfund wöchentlich. Davon kann man leben. Wir tun's bereits.« – »Esther, ich…«, sagte er zwischen zwei Zügen an seiner frisch angezündeten Pfeife,
    »ich meine, wenn ich schon heirate, dann soll es auch Hand und Fuß haben.«
    Damit war das Gespräch mehr oder weniger beendet. Es war nicht das erstemal. Esther wollte ihn nicht wieder daran erinnern, daß sie nichts dagegen hatte, so weiterzu-leben wie bisher, daß sie sich keine schicke Wohnung mit neuer Wäsche und teurem Essen wünschte. Sie war schließlich nicht mehr zwanzig. Aber sie wußte nicht wirklich über seine Finanzen Bescheid. Hatte er Schulden?
    Hatte er irgendwelche finanziellen Entschädigungen für seine beschlagnahmten Konten in Deutschland bekommen?
    Verdiente er wirklich etwa zwölf Pfund in der Woche oder weniger? Sie hatte den Eindruck, daß die meisten seiner 60
    Antworten Halbwahrheiten waren, und solange sie nicht seine Frau war, dachte sie, konnte sie keine genaueren Auskünfte verlangen.
    Ihr Leben ging weiter wie zuvor, und Esther fand sich mit der Aussicht auf eine bis in alle Zeiten lockere Verbindung mit Richard ab, wie sie sich mit der Aussicht auf Le-bensmittelrationierung in England bis in alle Zeiten abfand.
    In Deutschland standen die Dinge schlimmer, das wußte sie. Doch ihre Cousine Lotte Kiefer, die kürzlich aus München zu Besuch gekommen war, hatte ihr erzählt, daß gar nicht so wenige deutsche Firmen wieder existierten.
    Esther erzählte Richard, Lotte zufolge habe der Sohn des Verlagsgründers, Leopold Beckhof, seine Maschinen bereits zur Hälfte zurückgekauft. Richard überraschte sie mit dem Kommentar, das wisse er bereits. Er sagte, er habe mit Leopold Beckhofs Sekretärin korrespondiert, weil er der Ansicht sei, der Beckhof-Verlag solle wissen, wo er sich befand.
    Lotte und ihr Ehemann blieben mehrere Wochen lang bei englischen Freunden in Kent. Zu Anfang ihres Besuchs sah Esther sie häufiger in London, doch vor ihrer Abreise rief Lotte nur kurz an, um sich von Esther zu verabschieden. Wie die meisten aus Esthers Verwandtschaft hielt Lotte auf Etikette und betrachtete Esther als Bohémienne.
    Esther zweifelte nicht daran, daß Lotte während ihres Aufenthalts in England von Esthers Liaison mit Richard Friedmann erfahren hatte. Lotte mußte sich an ihn aus Münchner Zeiten erinnern, denn er sagte, er könne sich an sie erinnern. Esther fiel ein, daß Lotte vielleicht so kühl zu ihr gewesen war, weil Richard Halbjude war, obwohl sie 61
    nicht wirklich glauben konnte, daß ihre Familie sich von der ordinären Nazipropaganda hatte anstecken lassen, auch wenn sie noch so stolz auf ihr Blut war. Esther war gekränkt, doch mit der Kränkung fand sie sich genauso ab wie mit ihrer Armut, dem Krieg, Richard, ihrem ergrauen-den Haar und ihrer molligeren Figur; sie zuckte die Schultern und lächelte.
    Und dann kam der Morgen, an dem Richard den Brief erhielt, in dem man ihm seine alte Stelle beim Beckhof-Verlag in München antrug. Zu einem Gehalt, mit dem man, wie Esther wußte, in Deutschland zur Zeit große Sprünge machen konnte, sage und schreibe vierhundert Mark im Monat. »Oh, Richard! Wie wunderschön! Du nimmst es doch an, oder?« fragte Esther. Richards kleine hellbraune Augen strahlten plötzlich. »Ja, ich denke schon.« Beide muß-
    ten wenige Minuten später zur Arbeit gehen, weshalb für mehr keine Zeit blieb außer für Esthers Frage, wann er fahren wolle, und Richards Antwort: »So bald wie möglich.«
    Esther fragte sich, ob Richard nun wohl frohgemut ohne sie nach München fahren würde. Sie konnte schließlich nicht mitkommen oder einige Wochen später wie zufällig aufkreuzen; dafür kannten beide in München zu viele Leute. Die Frage wurde beantwortet, als Richard abends zur Tür hereinkam. Er sagte: »Esther, willst du mich jetzt heiraten?«, und Esther sagte: »Aber ja.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte die Arme um seinen mageren Hals und küßte ihn zärtlich. In ihren Augen standen Tränen der Freude und der Überraschung, und minutenlang schwieg sie. Richard sagte: »Ich sagte doch, daß es am Geld lag.
    Dieses Problem ist jetzt aus dem Weg geschafft.«
    62
    Esther und Richard heirateten in aller Stille und luden etwa zehn Freunde in ein Restaurant in der King's Road zum Hochzeitsessen ein. Die Vorstellung, all die Menschen

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