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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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wußte, daß Friedas Mitbewohnerin an der Rezeption eines Hotels arbeitete, von vier Uhr nachmittags bis Mitternacht, was bedeutete, daß die Wohnung fast jeden Abend gewissermaßen eine sturmfreie Bude war. Außerdem erfuhr Esther von Lotte, daß sich hinter Friedas fügsamem Auftreten preußische Hartnäckigkeit verbarg und daß Frieda nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß Richard der einzige Mann war, der für sie zählte. Die logische Folgerung daraus war die, daß sie früher oder später versuchen würde, ihn zurückzuholen.
    Esther stellte fest, daß Frieda sie weniger beunruhigte als Richards Charakter. Richard war ein Gewohnheitsmensch.
    Die Zwänge der Ehe waren ihm ein wenig lästig, während von Frieda, vor allem in ihrer gegenwärtigen Lage, kaum zu befürchten war, daß sie Ansprüche an ihn stellte. Esther konnte sich vorstellen, wie er in Gewohnheiten zurückfand, die er vor dem Krieg mit Frieda praktiziert hatte – ohne mit ihr zusammenzuleben, besuchte er sie mehrmals wöchentlich und schlief vielleicht einmal pro Woche mit ihr. Diese Gewohnheiten waren mit seinem gegenwärtigen Alltag ohne weiteres zu vereinbaren, und vielleicht hatte er sie bereits damit vereinbart. Was Esther diese Vermutung nahelegte, war der Umstand, daß
    Richard, aus welchem Grund auch immer, fast nie vor halb acht nach Hause kam, obwohl seine Firma, wie sie wußte, um sechs Uhr Schluß machte. Natürlich gab es keine Möglichkeit, Näheres herauszufinden, ohne Friedas Wohnung zu observieren, und davor scheute Esther zurück.
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    Leopold Beckhof wußte möglicherweise Bescheid, ein halbes Dutzend Leute mochten Bescheid wissen, doch keiner von ihnen würde Richard verraten. So etwas tat man nicht. Bis auf Leute wie Lotte, die Esther dafür verachtete.
    Esther hatte mehr freie Zeit, als ihr lieb sein konnte. Die zwei Hausangestellten hatten sich alle Hausarbeiten unter den Nagel gerissen, und als wahre Arbeitstiere weigerten sie sich, Esther die geringste Tätigkeit zu überlassen, beispielsweise das Stopfen von Richards Socken, etwas, was sie tatsächlich gern tat. Wenn sie eine Besorgung zu erledigen hatte, brachte sie soviel Zeit wie möglich damit zu, schlenderte an den eleganten Geschäften der Theatiner-straße vorbei, besuchte eine bestimmte Konditorei, um eine Tasse vorzüglichen Kaffees mit Sahne zu trinken und das köstliche Gebäck zu probieren, das im Schaufenster lockte.
    Danach fuhr sie mit dem Taxi nach Hause, und dann hatte sie noch eine Stunde oder länger Zeit, um Briefe an ihre Freunde in England zu schreiben, bevor Richard nach Hause kam. Esther war eine gewissenhafte Korrespon-dentin. Sie hatte Tom Bradley und Edna für die zwei letzten Novemberwochen eingeladen, doch Tom schrieb, daß er gerade eine neue Stelle angetreten habe und nicht kommen könne. Jetzt erwartete Esther einen Brief von den Campbells als Antwort auf ihre Einladung, wenn auch mit geringer Hoffnung, denn John war seiner Arbeit wegen nicht recht abkömmlich. Und ihre anderen englischen Freunde hatten entweder zuwenig Geld oder zuwenig Zeit für die Reise, wie sie sehr wohl wußte. Sie fehlten Esther ganz schrecklich.
    Eine Arbeit hätte ihr über die Langeweile hinwegge-72
    holfen, aber arbeiten durfte sie als britische Staatsbürgerin in München nicht. Ihre Freundinnen waren tagsüber ausnahmslos beschäftigt; es gab niemanden, mit dem sie ein-kaufen gehen oder sich zum Lunch treffen konnte. Sie hätte sich mit Frau Krüger verabreden können oder mit anderen Damen aus diesem Zirkel, die sich so heftig um sie und Richard bemühten, doch aus schierem Stolz war Esther dazu nicht bereit. Inzwischen kannte sie für diese Schmarotzer nur noch Verachtung. Es entging ihr nicht, daß sie sich Frechheiten erlaubten und anmaßend auftraten, weil Richard ihnen als Jude selbstverständlich gesellschaftlich untergeordnet war. Eine bestimmte Freundin Frau Krügers, eine Person mit rotgefärbtem Haar, hatte Esther letzte Woche dreist zu fragen gewagt, ob Richard Volljude oder nur Halbjude sei. Der Antisemitismus der Deutschen war nicht ausgestorben, o nein! Auch in der Bäckerei Köbler hatte es einen Zwischenfall gegeben.
    Esther hatte eine umfangreiche Bestellung für eine Teege-sellschaft aufgegeben und dem Ladenmädchen Name und Adresse für die Zustellung buchstabiert. Und mit einemmal war ihr aufgefallen, daß alle anderen Frauen in dem Laden sie auf eigentümliche Weise anstarrten, weil sie einen jüdischen Namen trug und dies nur eins

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