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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Esther, wie vorsichtig Richard und Frieda einander aus dem Weg gingen.
    Frieda plauderte bei Tisch mit Leopold Beckhof, und nach dem Essen hielt sie sich in seiner Nähe auf, als fürchte sie sich davor, mit einem anderen Gast zu sprechen. »Wenn du Frieda schon einlädst, solltest du dich auch mit ihr unterhalten«, sagte Esther zu Richard. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sich blendend amüsiert.« – »Na ja, wenn du meinst«, sagte Richard. Und Esther sah zu, wie Friedas ungeschlachte, schwerfällige Züge zum Leben erwachten, als Richard sie ansprach und ihr ein Glas Cognac reichte.
    Esther wollte nichts mehr trinken. Während ihre Gäste im Wohnzimmer mit Cognac und Kaffee beschäftigt waren, verschwand sie in ihr Zimmer im ersten Stock.
    Sie setzte sich vor den Frisierspiegel und unterzog ihr Gesicht einem prüfenden Blick. Sie sah, daß Haar und Ge-sichtszüge sich seit Beginn des Abends nicht verändert hatten; dennoch wirkte sie jetzt viel unattraktiver. Die Augensäcke waren prononcierter. An den Zwischenräumen hatten ihre großen Zähne im Lauf des letzten Jahres 76
    Flecken bekommen, und wenn ihr Gesicht so blaß war wie heute abend, machte sich das besonders unvorteilhaft be-merkbar. Der Lippenstift ließ sie noch ordinärer und häß-
    licher aussehen, fast wie einen Clown, fand sie. Frieda Meyer war all ihrer hausbackenen Aufmachung zum Trotz jünger als sie. Esther fuhr zusammen, als leise an die Tür geklopft wurde.
    Es war Lotte. »Wir haben dich vermißt«, sagte sie. »Ist mit dir alles in Ordnung, Schätzchen?« Esther versuchte zurückzulächeln und zermarterte sich das Gehirn nach etwas, was sie sagen könnte, doch ihr fiel nichts ein. »Ich wüßte gern, ob du noch mehr zu hören bekommen hast«, sagte sie. – »Über Richard? N-nein, nicht direkt, glaube ich. Obwohl – aus dem, was Leopold mir erzählt hat, habe ich mir eben zusammengereimt, du weißt schon… « Lotte sprach nicht unbedacht. Sie ließ den Satz absichtlich unbe-endet und lächelte Esther wieder zärtlich an. »Herzchen, du mußt dich einfach damit abfinden. Das ist mein Rat, falls du ihn willst. Ich glaube nicht, daß Richard sich vor-schreiben läßt, was er tun und lassen soll. Ich glaube, Frieda gehört in seinen Augen wohl einfach zu ihm, wie ein Möbelstück.« (O ja – Esther konnte sich das gut vorstellen, keine Galanterie, keine Blumen, so als wäre Frieda ein alter Sessel, den er in Deutschland wieder in Besitz genommen hatte. So weit hatte Esther sich in Gedanken schon seit Wochen vorgewagt. Das einzige, worüber sie noch immer unschlüssig war, war die Frage, ob sie sich damit abfinden konnte, was sie tun wollte, wie sie reagieren würde in der entsetzlichen Krise, die sie drohend in der Zukunft wähnte und die sicherlich ohne Vorwarnung über 77
    sie hereinbrechen würde.) Lotte legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Esther, wenn ich irgend etwas für dich tun kann
    … Du weißt, daß du jederzeit kommen kannst, wenn dir danach zumute ist. Nicht daß ich persönlich Erfahrungen in dieser Hinsicht hätte, aber ich kenne genug Frauen, die so etwas durchgemacht haben.« Esther brachte es nicht fertig, Lotte ins Gesicht zu sehen, weil es so gar nicht das Gesicht einer Freundin war. »Komm, wir gehen zu den anderen«, sagte sie.
    Den restlichen Abend über erfüllte Esther brav ihre Pflichten als Gastgeberin. Richard schenkte seinen franzö-
    sischen Cognac großzügig aus. Er schien sich königlich zu amüsieren. Hier war er glücklicher, als er es in London je gewesen war, erkannte Esther. Er war wahrscheinlich nicht der einzige Anwesende, der seine Frau betrog; auf einer Party in England wäre er die Ausnahme gewesen, selbst unter den Malern und Schriftstellern, mit denen sie in Chelsea verkehrt hatten. Vielleicht hatte sie mehr englische Moralvorstellungen verinnerlicht, als sie für möglich gehalten hätte, dachte Esther, denn sie konnte sich nicht recht vorstellen, daß sie ebenso reagiert hätte, wenn einer ihrer ersten drei Gatten sie betrogen hätte. Erschwert wurde die Demütigung dadurch, daß Frieda als Sekretärin Richard gesellschaftlich nicht einmal gleichgestellt war. Und Richards Alter – sechsundfünfzig – machte die Sache doppelt lächerlich. Esther wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, Richard zu betrügen. Aber hatte sie ihre ersten zwei Männer etwa nicht betrogen? Und den dritten ebenfalls? War das hier möglicherweise die Vergeltung des Schicksals? Esther hatte Richard

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