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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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bedeuten konnte: daß sie oder ihr Ehemann sich wieder nach Deutschland eingeschlichen hatten, obwohl man sie fortgejagt hatte. In diese Bäckerei hatte Esther keinen Fuß mehr gesetzt. Und ihr Mißtrauen Richard gegenüber überschattete ihr ganzes Leben, der Umstand, daß sie an ihm zu zweifeln begonnen hatte, ob zu Recht oder zu Unrecht.
    Kurz vor Weihnachten luden Esther und Richard etwa 73
    fünfzehn Gäste zu einem Abendessen ein. Esther schätzte die Kosten für den Abend auf mehr als fünfhundert Mark; mit der Rechnung für zwei neue Läufer und den Ofen im ersten Stock würde dies Richards Monatsgehalt aufzehren.
    Sie überlegte, wie sie am Menü sparen konnte, und schlug es Richard vor, der sagte, sie solle sich keine Gedanken machen und keinesfalls knausern. Sie machte sich aber Gedanken, denn angesichts der Ausgaben, die sie in den vergangenen drei Monaten gehabt hatten, war kaum
    anzunehmen, daß Geld übriggeblieben war. »Haben wir irgendwelche Reserven, Richard?« fragte sie unvermittelt.
    – »O ja, ein bißchen haben wir«, sagte er. – »Aber findest du nicht, daß wir wissen sollten, wieviel es genau ist – und wieviel Geld ich ausgeben darf und wieviel nicht –, jetzt, wo wir verheiratet sind?« Die letzten Worte schwebten in der Luft; sie spürte, daß Richard sich nie weniger darum geschert hatte als jetzt, ja daß er es nicht hören wollte und sich ärgerte, daß er es war. »Habe ich je irgend etwas Derartiges gesagt?« Mit einem Seufzer ließ Esther die Angele-genheit auf sich beruhen. Richard hatte ihr noch nie einen Kontoauszug gezeigt, nicht einmal bei den spärlichen An-lässen, als sie ihn darum gebeten hatte. Sie sagte: »Könntest du mir bitte etwas Taschengeld für den Rest der Woche geben? Ich hatte heute nur zwei Mark fünfzig bei mir und konnte nicht einmal mit Greta zum Lunch gehen, weil ich befürchten mußte, ich könnte mein Essen nicht bezahlen.«
    Richard zückte auf der Stelle seine Brieftasche und gab ihr dreißig Mark. Esther war versucht, ihn noch einmal zu fragen, warum sie kein festes Haushaltsgeld haben konnte, doch sie wußte die Antwort im voraus: Richard würde sa-74
    gen, er habe im Augenblick nicht genug zur Hand, aber grundsätzlich könne sie immer auf Geld von ihm rechnen.
    Frieda Meyer erschien zu dem Essen. Richard hatte Esther nichts davon gesagt, doch als sie ihn darauf ansprach, beteuerte er das Gegenteil. Esther wußte jedoch, daß Richard Frieda in letzter Sekunde nach der Absage Raimund von Hagens eingeladen hatte. »Ich fände es nett, wenn du dich mit ihr unterhalten würdest«, sagte Richard zu Esther. »Sie ist bei weitem nicht so abweisend, wie du vielleicht denkst.« – »Ich habe es versucht. Aber mit mir will sie sich nicht unterhalten«, sagte Esther. Sie ließ Richard stehen und ging zu dem Sofa, auf dem Lotte und die Gräfin von Bernsdorf saßen. Aperitifs wurden herumge-reicht, und die Atmosphäre im Raum war fröhlich und entspannt in der Aussicht auf ein gutes Abendessen. Sämtliche Lektoren des Beckhof-Verlags waren mit ihren Ehe-frauen gekommen und ebenso einige der interessanteren und eleganteren Leute, die sie und Richard frequentierten, doch bedrückt stellte Esther fest, daß unter den Anwesenden niemand war, den sie mit Fug und Recht hätte als Freund bezeichnen können – nicht einmal Lotte, ihre eigene Cousine. Esther setzte sich neben Lotte. Die Gräfin von Bernsdorf wandte sich kurz ab, und Lotte flüsterte Esther hastig zu: »Ich muß schon sagen, Frieda paßt wirklich nicht in diese Gesellschaft. Meinst du, Leopold hat sie mitgebracht, damit sie die Unterhaltung mitstenografiert?«
    Das sagte sie auf englisch, damit niemand es mithören konnte. Es war genau das, was Esther undeutlich selbst gedacht hatte; sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Ein halbes Dutzend Fragen, die sie Lotte gern gestellt 75
    hätte, ging ihr durch den Kopf, doch sie wagte keine einzige zu artikulieren – schließlich waren sie nicht allein.
    Und eine Frage stellte sie sich selbst: Was wollen wir hier, Richard und ich? Was wollen wir beweisen, indem wir heute abend diese Leute eingeladen haben? Und wem wollen wir etwas beweisen? Sekundenlang überkam sie ir-rationale Furcht; ihr war, als erführe sie eine Bestrafung, eine endlose Demütigung, hier in Deutschland und mit einem Halbjuden verheiratet, der sie nicht einmal liebte. Es war die gleiche Panik, die sie in der Bäckerei erfaßt hatte.
    Den ganzen Abend über beobachtete

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