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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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eine angenehme Abwechslung bedeutete.
    Er hatte den ganzen Sonntag bis zum Tee in seinem Büro gearbeitet, und abends mußte er mit Leopold Beckhof und einem Gast aus Paris essen gehen.
    Abends rief Leopold Beckhof an und wollte Richard sprechen. Esther sagte, Richard sei bereits auf dem Weg zu ihrer Verabredung. Herr Beckhof sagte, er wisse von keiner Verabredung und wolle Richard nur bezüglich eines Manuskripts instruieren, das dieser über das Wochenende nach Hause mitgenommen hatte. Er bat Esther, Richard zu sagen, er möge ihn am nächsten Morgen anrufen. Als sie auflegte, war Esther sonderbar benommen zumute. Ihr war plötzlich eingefallen, daß Lotte ihr vor einigen Tagen erzählt hatte, sie habe Richard und Frieda Meyer eines Abends gegen zehn Uhr im Ratskeller Kaffee trinken sehen. Esther hatte sich darüber nicht weiter den Kopf zerbrochen; sie hatte angenommen, daß Richard seine Se-68
    kretärin möglicherweise nach einer besonders langen Arbeitssitzung mit Leopold im Büro auf einen Kaffee eingeladen habe. Doch sie erinnerte sich an das amüsierte Lächeln, mit dem Lotte es ihr erzählt hatte. Jetzt sah sie vor ihrem inneren Auge Richard mit Frieda Meyer in einem Restaurant beim Abendessen. War es denkbar? Diese unattraktive, farblose Person? Mit Hornbrille! Und ohne Lippenstift. Esther erinnerte sich deutlich an Friedas un-förmige Gestalt auf dem Lederpuff vor dem Kamin und versuchte zu erraten, was Richard daran anziehend finden konnte. Sie nahm den Telefonhörer ab, weil sie Lotte anrufen wollte, um sie ohne Umschweife zu fragen, ob sie Richard verdächtige, mit Frieda eine Affäre zu haben, doch dann legte sie ihn auf; es wäre passender und weniger wür-delos, Lotte zu fragen, wenn sie sie das nächste Mal sah.
    Dann kam ihr dieser Gedanke absurd vor; sie nahm den Hörer wieder ab und wählte Lottes Nummer. »Ich würde dich gern… etwas Persönliches fragen, Lotte. Du mußt mir nicht antworten, wenn du nicht willst.« Doch sie hörte, wie neugierig Lotte mit einemmal wurde, und war überzeugt, daß Lotte mit Vergnügen antworten würde. »Tja, Esther –
    ich dachte, du wüßtest Bescheid«, erwiderte Lotte. »Du bist sicher der einzige Mensch in ganz München, der nichts davon weiß. Richard und Frieda hatten vor dem Krieg jahrelang ein Verhältnis. Als ich zu dir sagte, ich hätte sie im Ratskeller gesehen, wollte ich damit natürlich nicht behaupten, sie hätten jetzt noch etwas miteinander. Ich meine, so etwas würde Richard sicher niemals tun, jetzt, wo er verheiratet ist.«
    Esther wartete bis elf Uhr im Wohnzimmer; sie rauchte 69
    nervös und versuchte zu lesen. Richard kam um halb zwölf. Esther fragte ihn, wie der Abend verlaufen sei, und Richard sagte, sehr gut, sie hätten eine Menge Arbeit erledigt. »Leopold hat gegen acht Uhr angerufen, um dich zu sprechen. Hast du ihn gesehen?« Richard starrte sie einen Moment lang mit offenem Mund an, und Esther sah, daß er zusammenzuckte. Dann sagte er: »Nein, Leopold konnte nicht kommen. Ich habe den Besucher allein getroffen.« –
    »Nicht mit Frieda Meyer?« Richard starrte sie auf die gleiche Weise an wie zuvor. »Was soll das, Esther?«
    Esther beschloß, die Geheimniskrämerei aufzugeben. »Bist du in Frieda Meyer verliebt? Ist sie in dich verliebt?«
    Richard lachte ungläubig. »Mein Gott, Esther! So ein Schwachsinn!« – »Ich weiß aber, daß es früher einmal so war«, sagte Esther. Richard trat zu ihr und faßte sie unter das Kinn. »Ich bin mit dir verheiratet, und ich liebe dich.«
    – »Kannst du das beschwören?« fragte Esther. – »Ja!«
    sagte Richard lachend. Esther zauderte, dann beschloß sie, ihm zu glauben. Doch sie konnte sich nicht verkneifen zu sagen: »Ich habe dich das gefragt, weil – weil ich erfahren habe, daß du letzte Woche mit Frieda im Ratskeller warst.
    Davon hast du mir nichts gesagt. Und das fand ich merkwürdig.« Richard runzelte die Stirn. »Wer hat dir das er-zählt?« – »Es stimmt aber doch, oder?« – »Ja«, räumte Richard freimütig ein. »Ich habe mich nur gefragt, wer dir das erzählt haben kann.« – »Das möchte ich für mich behalten«, sagte Esther. Es gefiel ihr, ihre Informations-quelle vor Richard geheimzuhalten.
    An diesem Abend gingen sie fast wortlos zu Bett.
    Esther führte ein zweites Gespräch mit Lotte. Sie verab-70
    scheute ihre Cousine für deren Harne, doch in puncto Tratsch erwies sich Lotte als wahre Goldgrube. Sie war einmal in Friedas Wohnung gewesen und

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