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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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ihren Augen nicht, denn sie war in dem Glauben aufgewachsen, daß der Zweig der Familie, zu dem Lotte gehörte, viel reicher war als der ihre. Das Geld war eben seit dem Krieg verlorengegangen. Lotte wirkte jetzt nicht weniger ärmlich als der alte Professor Haggenbach in seinem abgetragenen schwarzen Anzug oder die ungepflegte Frau, die Frieda hieß und mit der 65
    Richard sich den ganzen Abend unterhalten hatte. Lotte sagte: »Für Richard muß es fast so sein, als würde er wieder in seine alte Hausjacke schlüpfen, nicht wahr? Sogar seine frühere Sekretärin hat er wieder.« – »Wer ist das?«
    fragte Esther. – »Na, Frieda Meyer. Hat er denn nie –« Sie hielt inne, und Esther sah sie an. Lotte lächelte verhalten.
    »Die, mit der er gerade spricht, das ist Frieda«, sagte sie.
    Esther hatte den Namen nicht behalten; sie hatte so viele fremde Leute begrüßt. Sie konnte sich nicht erinnern, daß Richard Frieda Meyer je erwähnt hätte.
    Später am Abend, als sie mit Richard im Schlafzimmer war, sagte Esther, wie überrascht sie von Lotte Kiefers offenkundiger Armut gewesen sei. – »Mich überrascht das gar nicht«, sagte Richard. »Heutzutage sind es die neu-reichen Emporkömmlinge, die das Geld haben. Der alte Adel und sogar die meisten alteingesessenen Kaufleute wie die Kiefers sind finanziell am Ende.« Er sagte es so laut und ungerührt, daß Esther ein wenig schockiert war.
    Außerdem waren die Kiefers nicht lediglich alteingesessene Kaufleute, sondern eine der besten Familien. »Warum hast du mir nicht erzählt, daß Fräulein Meyer deine frühere Sekretärin ist? Ich wußte nicht, wer sie ist«, sagte Esther. –
    »Oh. Ja, vor dem Krieg hat Frieda für mich gearbeitet. Ich habe gehört, daß sie während des Krieges ab und zu für Leopold gearbeitet hat.«
    In den folgenden Wochen dachte Esther immer wieder über den finanziellen Niedergang von Leuten wie Lotte Kiefer nach, weniger weil es sie als wirtschaftliches Phänomen interessierte, sondern weil sie zu begreifen begann, daß Leute, die früher Geld gehabt hatten und jetzt arm 66
    waren, sich um sie und Richard bemühten, um von ihnen zu profitieren. Lotte verargte sie das nicht; Lotte war nur auf Einladungen erpicht und auf das ästhetische Vergnügen an einem anständig aufgetragenen Essen, da ihre wohl-habenderen Freunde sie offenbar mehr oder weniger von der Liste gestrichen hatten. Professor Haggenbach, der von einer kärglichen Pension lebte, versuchte den Verleger Beckhof dazu zu bringen, ihn zu unterstützen, damit er seine philosophische Abhandlung zu Ende schreiben konnte. Die Krügers hingegen waren genau die Emporkömmlinge, die Richard gemeint hatte, und Esther konnte sie nicht ausstehen. Hermann Krüger verdankte sein nagelneues Vermögen einem neuen Webverfahren, das er einer Augsburger Strumpffabrik verkauft hatte. Richard und sie hatten mit Leuten wie den Krügers keinerlei Gemeinsamkeiten, und es war nicht zu übersehen, daß die Krügers ihre Bekanntschaft nur suchten, um gesellschaftlich aufzusteigen, weil weniger neureiche Wohlhabende sie ignorierten. »Ich habe eigentlich nichts gegen sie«, sagte Esther zu Richard, »aber worüber soll man sich mit ihnen unterhalten außer über Socken und Strümpfe? Es gibt so viele nette Leute in München, daß ich wirklich nicht verstehen kann, warum wir uns ausgerechnet mit ihnen abgeben müssen.« Richard sagte mit leisem Lächeln: »Ich weiß nicht, was du an ihnen auszusetzen hast. Du wirst doch nicht etwa zum Snob werden?«
    So kam es, daß sie die Einladung der Krügers zum Sonntagstee annahmen. Es war eine bedrückende und beinahe erschreckende Kopie der einstigen Münchner Nach-mittagskonzerte, an die Esther sich aus der Zeit erinnerte, 67
    als sie um die Zwanzig war und sich die Zeit damit vertreiben konnte, während der Arien der Sängerin, die für den Nachmittag engagiert worden war, mit gutaussehenden jungen Männern zu flirten. Die anderen Gäste waren ausnahmslos Leute vom Schlag der Krügers, die keine Gesprächsthemen kannten außer Sport und dem Textil-gewerbe. Richard plauderte dennoch mit jedem einzelnen und sagte hinterher zu Esther, er habe sich glänzend unterhalten. Vielleicht, dachte Esther, mußte Richard solche Veranstaltungen zwangsläufig anders beurteilen als sie. Er hatte anderen gegenüber eine merkwürdig unpersönliche Haltung, sogar ihr gegenüber, wie sie sich eingestehen mußte. Und er arbeitete so viel, daß wahrscheinlich jede Art Geselligkeit

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