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Die Augen der Überwelt

Die Augen der Überwelt

Titel: Die Augen der Überwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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schroffen Höhen, tiefen Kluften und dunklen Bergseen lag nun als schwarze Mauer im Norden. Eine Zeitlang kam Cugel durch ein Land mit niedrigen, sanft gerundeten Hügeln von der Farbe und Maserung alten Holzes und blauschwarzen, dichten Hainen auf den Kuppen. Dann brachte ihn ein nur schwach als solcher erkennbarer Pfad in weiten Biegungen südwärts zu einer riesigen, düsteren Ebene. Eine halbe Meile rechts des Pfades erhob sich dort eine Reihe hoher Felsen, die sofort seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten und das bohrende Gefühl in ihm weckten, daß er sie kennen müßte. Verwirrt betrachtete er sie. Irgendwann in der Vergangenheit waren sie ihm vertraut gewesen. Aber er verstand dieses merkwürdige Gefühl nicht. Seine Erinnerung wußte nichts von dieser Gegend.
    Cugel legte sich auf einen niedrigen, mit Flechten überzogenen Felsblock, um sich ein wenig auszuruhen. Aber Firx war ungeduldig und zwickte und zwackte wieder einmal. Derart gezwungen, sprang Cugel auf und schüttelte, vor Müdigkeit ächzend, die Faust drohend gen Südwesten, wo seines Erachtens Almery lag. »Iucounu, Iucounu, wenn ich dir nur ein Zehntel deiner Bosheit heimzahlte, würde die Welt mich für grausam halten!«
    Er folgte weiter dem alten Pfad. Er führte nun unter den hohen Felsen vorbei, die so unmögliche Erinnerungen in ihm wachriefen, daß es gar keine sein konnten. Unterhalb erstreckte sich die Ebene und füllte drei Viertel des Horizonts mit Farbtönen ähnlich denen des flechtenüberwucherten Felsblocks, den Cugel unausgeruht hatte verlassen müssen: schwarze Flecken von Waldland; ein unregelmäßiges Grau, wo sich Ruinen über ein ganzes Tal ausbreiteten; unbestimmte Streifen von Graugrün, Lavendel und Graubraun; der bleierne Schimmer von zwei breiten Flüssen, die sich in fernem Dunst verloren.
    Die viel zu kurze Rast hatte seine Glieder erst richtig steif gemacht. Er hinkte dahin, und sein Beutel scheuerte seine Hüfte wund. Am schlimmsten jedoch war der Hunger, der seinen Magen zusammenzog. Noch ein Posten auf der Rechnung, die er mit Iucounu zu begleichen hatte! Gewiß, der Lachende Magier hatte ihm ein Amulett mitgegeben, das normalerweise unverdauliche Dinge wie Gras, Holz, Horn, Haar, Erde und dergleichen zu einer genießbaren Paste machte. Aber – und das war eine Kostprobe von Iucounus Art von Humor – sie behielt den Geschmack des ursprünglichen Stoffes bei. Und während seiner langen Wanderung über die Berge hatte Cugel kaum Besseres in den Magen bekommen als Wolfsmilch, Böswurz, Schwarzbart, Eichenblätter und Galläpfel, und einmal, als er gar nichts anderes fand, Abfall, den er in der Höhle eines bärtigen Thawn entdeckt hatte. Cugel hatte nur immer soviel gegessen, daß die Schwäche ihn nicht übermannte, und so war er hager geworden. Seine Wangen waren so eingefallen, daß die Knochen wie die eines Totenschädels hervorstanden, und die schwarzen Brauen, die sich einst so verwegen geschwungen hatten, wirkten nun flach und mutlos. Wahrlich, Iucounu würde sich für viel zu verantworten haben! Und während sich Cugel so dahinschleppte, dachte er sich aus, wie seine Rache aussehen sollte, wenn er je seinen Weg nach Almery zurückfand.
    Der Pfad schlängelte sich zu einer breiten Steinebene hinab, wo der Wind sein seltsames Spiel getrieben hatte. Als Cugel sich umschaute, glaubte er, eine Regelmäßigkeit in den verwitterten Formen wahrzunehmen. Er blieb stehen und rieb sich nachdenklich das lange Kinn. Das Muster war so fein, ja schwer erkennbar, daß er sich fragte, ob er sich nicht selbst etwas vormachte. Beim Näherkommen entdeckte er jedoch unglaubliche Einzelheiten: Spindeln, Türmchen, Spiralen, Scheiben, Sättel, verzerrte Kugeln, Schleifen, Bänder, Herz- und Lanzettbogen. Die unglaublichsten Steinformen, die einfach nicht durch Zufall von den Elementen so geschaffen sein konnten!
    Verwirrt runzelte Cugel die Stirn. Er konnte sich den Grund für ein so komplexes Unterfangen nicht vorstellen.
    Staunend ging er weiter, und Augenblicke später hörte er Stimmen und das Schlagen und Schleifen von Werkzeugen. Mitten im Schritt hielt er inne und lauschte angespannt, ehe er sich weiterwagte. Er kam zu einem Trupp von etwa fünfzig Männern unterschiedlichster Statur, der kleinste war etwa drei Zoll hoch, der größte gut zwölf Fuß. Seine Schritte wurden zögernd, doch die Arbeiter bedachten ihn nur mit einem flüchtigen Blick und achteten dann nicht mehr auf ihn, sondern meißelten, schliffen und

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