Die Augen der Überwelt
Formen von Steinen liegt. Ich rate Euch eine andere, passendere Anstellung.«
»Großartig!« rief der Hauptzeigner. »Pharesm, der Zauberer, beweist seine unfehlbare Uneigennützigkeit! Um nicht fehlzugehen, ziehe ich hiermit mein Angebot der Einstellung zurück. Da sich daran nichts mehr ändert, wäre es sinnlos für Euch, kostbare Zeit zu vergeuden, auf einem Bett zu liegen oder probehalber die uns gewährten Vorrechte in Anspruch zu nehmen.«
Cugel machte ein säuerliches Gesicht. »Eine so flüchtige Beurteilung könnte leicht falsch sein.«
Der Hauptzeigner streckte entrüstet den Zeigefinger dreißig Fuß aus, aber Pharesm nickte beruhigend. »Das mag durchaus stimmen, und ich bin gern bereit, eine eingehendere Prüfung vorzunehmen, doch benötige ich dazu sechs bis acht Stunden.«
»So lange?« staunte Cugel.
»Das ist die unterste Grenze. Zunächst werdet ihr von Kopf bis Fuß in Eingeweide kurz zuvor getöteter Eulen gehüllt, dann in ein Bad mit zahllosen geheimen Zusätzen getaucht. Ich muß natürlich die kleine Zehe Eures linken Fußes abbrennen und Eure Nase ausreichend erweitern, um einen Forscherkäfer hindurchzuschicken, damit er die Verbindungen von und zu Eurem Gehirn studieren kann. Kommt, gehen wir in mein Arbeitsgemach, damit wir mit der Prüfung beginnen können.«
Cugel zupfte sich am Kinn und überlegte. Schließlich sagte er: »Ich bin ein vorsichtiger Mann und muß deshalb über die Ratsamkeit einer solchen Prüfung nachdenken. Dazu benötige ich einige Tage völliger Ruhe und die Möglichkeit zur Vertiefung. Euer Lager und das angeschlossene Nympharium erscheinen mir die richtigen Bedingungen für eine solche Vergeistigung zu bieten, deshalb ...«
Pharesm schüttelte nachsichtig den Kopf. »Vorsicht kann wie jede andere Tugend übertrieben werden. Es muß sofort mit der Prüfung begonnen werden.«
Cugel bediente sich seiner Überredungskünste, aber Pharesm war eisern und schwebte schließlich weiter den Pfad entlang. Bedrückt entfernte Cugel sich ein Stück und überlegte sich erst eine, dann eine andere Möglichkeit. Die Sonne näherte sich dem Mittag, und die Arbeiter fragten sich laut, welche Köstlichkeiten man ihnen wohl heute auftischen würde. Schließlich klatschte der Hauptzeigner in die Hände. Alle legten ihr Werkzeug zur Seite und sammelten sich um den Karren, der ihr Mittagsmahl gebracht hatte.
Cugel rief scheinbar spaßhaft, daß man ihn vielleicht dazu überreden könnte, am Mahl teilzunehmen, doch davon hielt der Hauptzeigner nichts. »Wie bei allem, was Pharesm bestimmt, muß auch hier äußerste Genauigkeit walten. Es wäre ein unvorstellbarer Verstoß, vierundfünfzig Männern das Essen vorzusetzen, das für dreiundfünfzig bestimmt ist.«
Cugel fiel keine Erwiderung ein, die ihm etwas eingebracht hätte, und blieb stumm sitzen, während die Steinhauer sich Fleischpasteten, Käse verschiedener Art und Salzheringe munden ließen. Niemand beachtete ihn, außer ein Mann von einer Viertel Elle, dessen Freigebigkeit seine Statur bei weitem überstieg, und der Cugel einen Teil seines Essens abgeben wollte. Doch Cugel versicherte ihm, er sei nicht hungrig, ehe er aufstand und sich an der Arbeitsstelle umsah, in der Hoffnung, ein vergessenes Vorratslager zu finden.
Dahin und dorthin schlenderte er, aber die Splittersammler hatten alles aufgeräumt, was nicht zur Errichtung der künstlerischen Werke gehörte. Mit wachsendem Hunger gelangte er in der Mitte der Arbeitsstelle an, wo er auf einer aus dem Stein gehauenen Scheibe ein äußerst ungewöhnliches Geschöpf ausgestreckt sah: Es war eine gallertartige Kugel, in der leuchtende Teilchen schwammen, von denen viele durchsichtige Röhren oder Fühler ausgingen und sich im Nichts verloren. Cugel beugte sich über die sichtlich langsam pulsierende Kreatur, um sie näher zu betrachten. Er tupfte ganz leicht mit einem Finger auf sie, und ein helles Flackern breitete sich vom Berührungspunkt aus. Wahrlich, ein Geschöpf erstaunlicher Fähigkeiten!
Er löste eine Nadel von seinem Wams und stach damit leicht in einen Fühler, der daraufhin gereizt farbig pulsierte, während die goldenen Pünktchen in ihm hin und her brandeten. Noch neugieriger denn zuvor, beugte Cugel sich näher über die Kreatur. Er stach da und dort forschend mit seiner Nadel in sie und beobachtete das erzürnte Flackern und Funkeln mit großem Vergnügen.
Ein neuer Gedanke kam Cugel. Das Geschöpf bewies sowohl Eigenschaften des Hohltiers als auch
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