Die Augen des Drachen - Roman
der Luft. Dann fielen die Kleider in sich zusammen, und Feind-Hammer fiel polternd zu Boden. Die Stahlspitze rauchte. So hatte sie vor langer Zeit geraucht, als Roland sie aus der Kehle des Drachen gezogen hatte. Das Herz glomm einen Augenblick in einem düsteren Rot, und sein Umriss wurde für immer in den Stein eingebrannt, wo es hinfiel, als der Zauberer verschwand.
Peter drehte sich zu seinem Bruder um.
Thomas’ überirdische Ruhe verschwand. Er sah nicht mehr wie Roland aus; er sah aus wie ein ängstlicher Junge, der schrecklich müde ist.
»Peter, es tut mir leid«, sagte er und fing an zu weinen. »Es tut mir mehr leid, als du jemals erfahren wirst. Ich nehme an, du wirst mich jetzt töten - und ich verdiene es, getötet zu werden -, ja, ich weiß es -, aber bevor du es tust, möchte ich dir etwas sagen: Ich habe bezahlt. Ja, das habe ich. Bezahlt, bezahlt und bezahlt. Und nun töte mich, wenn du möchtest.«
Thomas entblößte die Kehle und schloss die Augen. Peter ging auf ihn zu. Die anderen hielten den Atem an, ihre Augen waren groß und rund.
Peter zog seinen Bruder sanft aus dem Sessel ihres Vaters und umarmte ihn.
Peter hielt seinen Bruder fest, bis der Strom der Tränen versiegt war, dann sagte er ihm, dass er ihn liebe und immer lieben werde; dann weinten sie beide unter dem Kopf des Drachen, und der Bogen ihres Vaters lag zu ihren Füßen; und irgendwann stahlen sich die anderen aus dem Zimmer und ließen die beiden Brüder allein.
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Und lebten sie von nun an glücklich bis ans Ende ihrer Tage?
Nein. Niemand tut das jemals, einerlei, was in den Märchen steht. Sie hatten schöne Zeiten, wie ihr auch, und sie hatten schlechte Zeiten, wie ihr sie auch kennt. Sie hatten ihre Siege, wie ihr, und sie hatten ihre Niederlagen, und auch die sind euch nicht unbekannt. Es gab Zeiten, da schämten sie sich, weil sie wussten, dass sie nicht ihr Bestes gegeben hatten, und es gab Zeiten, da wussten sie, dass sie dort standen, wo ihre Götter sie haben wollten. Ich will damit nur sagen, sie lebten, so gut sie konnten, jeder Einzelne von ihnen; manche lebten länger als die anderen, aber alle lebten tapfer und gut, und ich liebe sie alle, und dieser Liebe schäme ich mich nicht.
Thomas und Peter gingen zusammen zu Delains neuem Obersten Richter, und Peter wurde wieder in Gewahrsam genommen. Sein zweiter Aufenthalt als Gefangener des Reichs war ungleich kürzer als der erste - er dauerte nur zwei Stunden. Thomas brauchte fünfzehn Minuten, um seine Geschichte zu erzählen, und der neue Oberste Richter - der mit Flaggs Zustimmung ernannt worden war und ein schüchterner kleiner Kerl war - brauchte eine ganze und drei Viertelstunden, um sich zu vergewissern, dass der schreckliche Zauberer tatsächlich verschwunden war.
Dann wurden alle Anklagen fallengelassen.
An diesem Abend trafen sich alle - Peter, Thomas, Ben und Naomi, Dennis und sogar Frisky - in Peters alten Zimmern. Peter schenkte jedem Wein ein, sogar Frisky bekam welchen in einer kleinen Schale. Nur Thomas lehnte ab.
Peter wollte, dass Thomas blieb, aber Thomas meinte - zu Recht, wie ich meine -, wenn er bliebe, würden die Bürger ihn für das, was er hatte geschehen lassen, in Stücke reißen.
»Du warst nur ein Kind«, sagte Peter. »Beherrscht von einem schrecklichen Geschöpf, vor dem du Angst hattest.«
Thomas antwortete mit einem traurigen Lächeln: »Das ist teilweise richtig, aber daran werden die Leute sich nicht erinnern, Pete. Sie werden sich an Tommy den Steuerbringer erinnern und meinen Kopf fordern. Ich glaube, sie würden Mauern einreißen, um mich zu bekommen. Flagg ist fort, aber ich bin hier. Mein Kopf ist ein dummes Ding, aber ich habe beschlossen, dass ich ihn gern auf den Schultern behalten würde.« Er verstummte, schien zu überlegen, dann fuhr er fort: »Es ist besser, wenn ich gehe. Mein Hass und Neid waren wie ein Fieber. Jetzt ist es fort, aber nach ein paar Jahren in deinem Schatten, wenn du regierst, könnte es wiederkommen. Ich habe mich selbst ein wenig besser kennengelernt, weißt du … ja, ein wenig. Nein, ich muss gehen, Peter, und zwar heute Nacht noch. Je früher, desto besser.«
»Aber … wohin willst du gehen?«
»Auf eine Suche«, sagte Thomas schlicht. »In den Süden, denke ich. Vielleicht siehst du mich wieder, vielleicht
nicht. Ich gehe in den Süden, auf eine Suche … ich habe viel Schuld auf mich geladen und muss vieles wiedergutmachen.«
»Was für eine Suche?«, fragte Ben.
»Flagg zu
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