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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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erfuhr. Und derlei Geschichten wurden immer bekannt. Im Schloss wimmelte es von Dienern. Diener sahen alles, und ihre Zungen waren lose.
    »Er ist doch erst sechs«, erwiderte Roland unbehaglich. Flagg, mit seinem weißen, hungrigen Gesicht, welches stets tief unter der Kapuze verborgen war, und mit seinen Zaubersprüchen, erfüllte ihn stets mit Unbehagen.
    »Sechs ist alt genug, einen Jungen darin zu unterweisen, was er werden soll, Sire«, sagte Flagg. »Denkt gut darüber nach. Eure Entscheidung wird richtig sein, wie alle Eure Entscheidungen.«
    Denkt gut darüber nach, hatte Flagg gesagt, und genau das tat König Roland. Man könnte sogar sagen, dass er in seiner über zwanzigjährigen Regentschaft über Delain niemals so gut über etwas nachgedacht hatte.
    Das mag euch vielleicht seltsam erscheinen, wenn ihr an all die Pflichten denkt, die ein König hat - gewichtige Probleme, etwa auf etwas Steuern zu erheben oder sie von etwas anderem zu nehmen, Krieg zu erklären oder nicht, zu vergeben oder zu verurteilen. Was, werdet ihr euch fragen, bedeutete daneben eine Entscheidung darüber, ob ein kleiner Junge mit einem Puppenhaus spielen durfte oder nicht?
    Vielleicht gar nichts, vielleicht alles. Ich möchte, dass ihr euch selbst eine Meinung darüber bildet. Ich möchte euch aber verraten, dass Roland nicht der klügste König war, der jemals über Delain geherrscht hatte. Das Denken war stets eine Anstrengung für ihn gewesen. Er fühlte
sich dabei, als würden Wackersteine in seinem Kopf herumrollen. Seine Augen tränten, und seine Schläfen pochten. Wenn er angestrengt nachdachte, wurde seine Nase ganz verstopft.
    Als er ein Junge gewesen war, hatte sein Unterricht in Schreiben und Mathematik und Geschichte ihm solche Kopfschmerzen bereitet, dass ihm gestattet worden war, sie aufzugeben und stattdessen das zu tun, was er am besten konnte, nämlich jagen. Er gab sich große Mühe, ein guter König zu sein, aber er hatte das Gefühl, dass er niemals gut genug sein konnte, oder klug genug, die Probleme des Königreichs zu lösen oder die richtigen Entscheidungen zu treffen, und er wusste, wenn er die falschen traf, dann mussten Menschen deswegen leiden. Wenn er gehört hätte, was Sasha nach dem Bankett zu Peter gesagt hatte, so hätte er dem voll und ganz zugestimmt. Könige waren tatsächlich größer als andere Menschen, doch manchmal - eigentlich oft - wünschte er sich, er wäre kleiner. Wenn ihr euch jemals in eurem Leben Gedanken darüber gemacht habt, ob ihr einer bestimmten Aufgabe gewachsen seid, dann werdet ihr verstehen, wie ihm zumute war. Ihr wisst vielleicht nicht, dass solche Sorgen sich mitunter selbständig machen. Auch wenn das Gefühl, man sei nicht gut genug für eine Aufgabe, anfangs vielleicht gar nicht stimmt, kann es mit der Zeit wahr werden. Dies war Roland widerfahren, und im Laufe der Jahre hatte er sich mehr und mehr auf Flagg verlassen. Manchmal beunruhigte ihn der Gedanke, dass Flagg in jeder Beziehung, abgesehen vom Titel, der eigentliche König war - aber dieser Gedanke kam ihm immer nur spät in der Nacht. Am Tage war er nur dankbar für Flaggs Unterstützung.

    Wäre Sasha nicht gewesen, so wäre Roland wahrscheinlich ein viel schlechterer König geworden, und das lag daran, dass die leise Stimme, die er manchmal nachts hörte, wenn er nicht einschlafen konnte, mehr Wahrheit ausdrückte als seine Dankbarkeit bei Tage. Flagg beherrschte das Königreich wirklich so gut wie allein, und Flagg war ein sehr böser Mensch. Später werden wir unglücklicherweise noch mehr von ihm hören, aber vorläufig wollen wir uns von ihm verabschieden; auf bald.
    Sasha hatte Flaggs Macht über Roland ein wenig gebrochen. Die Ratschläge, die sie gab, waren gut und praktisch und viel gütiger und gerechter als die des Magiers. Sie konnte Flagg nie richtig leiden - die wenigsten in Delain konnten das, und viele schauderten, wenn sie nur seinen Namen hörten -, aber ihr Missfallen war mild. Sie hätte vielleicht anders gedacht, wenn sie gewusst hätte, wie genau Flagg sie beobachtete, mit welch wachsendem giftigem Hass.

9
    Einmal fasste Flagg tatsächlich den Entschluss, Sasha zu vergiften. Das war, nachdem sie Roland gebeten hatte, zwei Deserteure zu begnadigen, die Flagg auf dem Platz der Nadel köpfen lassen wollte. Deserteure, argumentierte er, geben ein schlechtes Beispiel. Wenn einer oder zwei davonkamen, ohne die Höchststrafe zu erhalten, dann könnten andere es auch versuchen. Man konnte sie

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