Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
nicht seinen Wünschen beugte. Wichtig war gewesen,
die Steuern in der Östlichen Baronie zu erhöhen. Zudem hatte Flagg ein finsteres Geheimnis, welches ihn mit viel Freude erfüllte. Immerhin war es ihm doch noch gelungen, Königin Sasha zu ermorden.

12
    Wenn in jener Zeit eine Königin - oder eine andere Frau von königlicher Geburt - ein Kind gebar, wurde eine Hebamme hinzugezogen. Alle Ärzte waren Männer, und es war keinem Mann gestattet, bei einer Frau zu sein, wenn sie ein Kind zur Welt brachte. Die Hebamme, die bei Peters Geburt zugegen gewesen war, hieß Anna Crookbrows und wohnte in der Third South’ard Alley. Sie wurde wieder gerufen, als die Zeit von Sashas Niederkunft mit Thomas näher rückte. Als Sashas zweite Geburt bevorstand, war Anna schon über fünfzig und Witwe. Sie hatte selbst einen Sohn, welcher im zwanzigsten Lebensjahr die Schüttelkrankheit bekam, die ihre Opfer immer nach jahrelangem Leiden unter großen Schmerzen tötete.
    Sie liebte ihren Jungen über alles, und nachdem sich alles andere als vergebens erwiesen hatte, ging sie schließlich zu Flagg. Das war schon vor zehn Jahren gewesen, als die Prinzen noch nicht geboren waren und Roland selbst noch königlicher Junggeselle gewesen war. Flagg empfing sie in seinen finsteren Kellerräumen, die sich in der Nähe der Verliese befanden - während der Unterhaltung konnte die nervöse Frau manchmal die verzweifelten Schreie all jener hören, die man seit vielen Jahren fern vom Licht der Sonne eingesperrt hatte. Wenn die Kerker so nahe waren, dachte sie mit einem Schaudern, dann mussten die Folterkammern auch nahe sein. Und
auch in Flaggs Gemächern selbst fühlte sie sich nicht gerade behaglich. Viele seltsame Zeichen waren mit bunter Kreide auf den Boden gezeichnet. Wenn sie blinzelte, schienen sich diese Zeichen zu verändern. In einem Käfig, welcher an einer langen schwarzen Kette hing, krächzte ein zweiköpfiger Papagei und redete manchmal mit sich selbst, wobei ein Kopf sprach und der andere antwortete. Staubige Bücher sahen finster auf sie herab. Spinnen webten in dunklen Ecken ihre Netze. Aus dem Labor drang ein Schwall seltsamer Chemikaliengerüche. Dennoch gelang es ihr irgendwie, ihre Geschichte hervorzustammeln, und dann wartete sie in schmerzlicher Neugier.
    »Ich kann deinen Sohn heilen«, erklärte er schließlich.
    Die Freude verwandelte Anna Crookbrows hässliches Gesicht beinahe in etwas Schönes. »Mein Lord!«, sagte sie, und weil ihr sonst nichts einfiel, wiederholte sie noch einmal: »O mein Lord!«
    Aber Flaggs weißes Gesicht im Schatten der Kapuze blieb düster und unbeteiligt, und sie empfand wieder Angst.
    »Was würdest du für ein solches Wunder bezahlen?«, fragte er.
    »Alles«, keuchte sie, und es war ihr ernst damit. »O mein Lord Flagg, alles!«
    »Ich bitte dich nur um einen Gefallen«, sagte er. »Wirst du ihn mir erfüllen?«
    »Mit Freuden«, antwortete sie.
    »Ich weiß noch nicht, worum es sich handelt, aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich es wissen.«
    Sie war vor ihm auf die Knie gesunken, und nun beugte
er sich zu ihr hinab. Die Kapuze fiel zurück; sein Gesicht war wirklich schrecklich anzusehen. Es war das weiße Gesicht eines Kadavers, mit schwarzen Löchern anstelle der Augen.
    »Solltest du nicht tun, was ich verlange, Weib…«
    »Ich werde es tun! O mein Lord, ich werde es tun! Ich werde es tun! Ich schwöre es beim Namen meines lieben Mannes!«
    »Dann ist es gut. Bring deinen Sohn morgen Abend, wenn es dunkel geworden ist, zu mir.«
    Sie führte den armen Jungen am nächsten Abend zu ihm. Er zitterte und wurde geschüttelt, sein Kopf nickte albern und die Augen rollten. Speichel troff ihm am Kinn hinab. Flagg gab ihr eine dunkle, pflaumenfarbene Medizin in einem Becher. »Gib ihm dies zu trinken«, sagte er. »Seine Lippen werden Blasen bekommen, aber er muss es trotzdem bis auf den letzten Tropfen austrinken. Und dann schaff mir den Narren aus den Augen.«
    Sie murmelte ihm etwas zu. Der torkelnde Kopf des Jungen wippte einen Augenblick noch heftiger, als er zu nicken versuchte. Er trank die ganze Medizin, und dann brach er schreiend zusammen.
    »Schaff ihn raus«, sagte Flagg.
    »Ja, schaff ihn raus!«, kreischte einer der Köpfe des Papageis.
    »Schaff ihn raus, schreien ist hier nicht erlaubt!«, schrie der andere Kopf.
    Sie brachte ihn heim und war sich sicher, dass Flagg ihn ermordet hatte. Aber am nächsten Tag war die Schüttelkrankheit ganz aus ihrem Sohn

Weitere Kostenlose Bücher