Die Augen Rasputins
ausgehen durfte, daß sich nichts verändert hatte.
»Darf ich dir etwas anbieten, Heiko? Einen Cognac vielleicht «
Sie versuchte nur, den Bann zu brechen, seinem Blick standzuhalten, dabei zu lächeln und gleichzeitig die Knie wieder in ihre Gewalt zu bringen. Sie waren immer noch so weich. Und was sie noch am meisten erschreckte, war die Feuchtigkeit, die sich in ihrem Slip ausbreitete. Sie fühlte sie ganz deutlich. Damals war es auch immer so gewesen. Wenn sie seinen Blick bemerkte und sich vorzustellen begann, woran er dachte. Und damals war es vermutlich auch normal gewesen. Jetzt war es das nicht, es konnte gar nicht normal sein, nicht nach sieben Jahren mit Ed und Eddi. Doch der Körper reagierte, als gäbe es keine Zeit. Es war ein sonderbares Gefühl, eine Mischung aus Erregung und Furcht, die die Erregung noch steigerte. Allein der Gedanke, daß er sie gleich hier in der Diele nehmen würde, ausgehungert wie er war, wie er sein mußte, rein theoretisch. Sie hatte sich oft gefragt, wie es wohl mit ihm gewesen wäre. Anfangs, später nicht mehr. Später hatte sie sich jedesmal, wenn die Frage auch nur im Ansatz auftauchte, das gesagt, was Ed ihr eingehämmert hatte. Daß nur ihre eigene Phantasie die Beziehung zu Heiko Schramm über das hinausgehoben hatte, was sie tatsächlich gewesen war. Und über alles andere.
Edmund Bracht fuhr den Wagen in die Garage, das war ein paar Minuten vor fünf. Er verschloß das Tor, fächerte die Schlüssel in der Hand, bis er den für die Haustür zwischen den Fingern hielt. Er steckte ihn ein, drehte ihn, nur die halbe Drehung, die eine nicht verschlossene Tür erforderte. Ein sicheres Zeichen für Patrizias Anwesenheit. Dann war sie wohl in der Zwischenzeit zurückgekommen. Wenn sie das Haus verließ, schloß sie immer hinter sich ab, zweimal. Er betrat die Diele, erwartete, daß Patrizia ihm aus dem Wohnzimmer entgegenkam. Um die Zeit war dort immer der Couchtisch für den Kaffee gedeckt, und im Hintergrund lief leise eine der alten Aufnahmen von Neil Diamond oder Roy Orbison. Aber Patrizia kam nicht. Es war ganz still im Haus, keine Musik. Das registrierte er erst, als er die Tür hinter sich schloß und auf das Wohnzimmer zuging. Der Couchtisch war nicht gedeckt. Etwa in der Mitte des Tisches stand ein Blumengesteck, eine Schale mit Iris und Margeriten. Von einem der Blütenköpfe waren sämtliche Blätter entfernt. Sie lagen vor dem Gesteck auf der Platte wie kleine Papierschnipsel. Merkwürdig, aber immer noch kein Grund zur Sorge! Auch kein Grund für das Bild, das er plötzlich vor Augen hatte. Zwei Finger, die ein Blütenblatt nach dem anderen abzupften. Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich, sie… Die Assoziation war lächerlich, und er rief sich zur Ordnung. Er warf einen kurzen Blick ins Eßzimmer. Es widerstrebte ihm, laut nach Patrizia zu rufen. Wenn sie im Haus war, mußte sie jeden Augenblick erscheinen, sie mußte schließlich gehört haben, daß er hereingekommen war. Außerdem kannte sie die Zeit genau, er kam immer um die gleiche Zeit heim. Daß da bereits eine erste Unsicherheit in ihm aufstieg, versuchte Edmund Bracht zu ignorieren. Es gab keine Veranlassung für ein Gefühl der Besorgnis. Er schaute kurz in den Garten, niemand zu sehen. Dann ging er zur Küche hinüber. Die Tür war geschlossen. Als er sie öffnete, erwartete er, das Blubbern der Kaffeemaschine zu hören, wenigstens das. Aber es war immer noch so still. Und so anders, so ganz anders, als er es von Patrizia gewohnt war.
Auf dem Tisch stand benutztes Geschirr. Vielleicht war es nur der Anblick, der seinen Herzschlag unvermittelt beschleunigte. Zwei Tassen mit den Resten von Kaffee. Milchgießer und Zuckerdose. Ein Cognacschwenker und einer von den Blumenuntersetzern aus Porzellan mit zwei Zigarettenkippen darauf. Patrizia rauchte nicht. Aber das allein wäre noch kein Grund gewesen. Es hätte bedeuten können, daß Dorothea auf einen kurzen Besuch gekommen war, daß Patrizia das Haus zusammen mit ihrer Schwester und möglicherweise in Eile verlassen hatte. Vielleicht einer von Pauls Anfällen, etwas heftiger diesmal, ausreichend für einen Cognac und zwei Zigaretten. Aber es waren keine Filterzigaretten. Das erkannte er, als er direkt vor dem Tisch stand. Und da sah er auch das Stück Papier. Es war mit einer Ecke unter den Blumenuntersetzer geklemmt. Ein Stück aus einer alten Tageszeitung, sauber ausgeschnitten. Ein Foto mit einer kurzen Textpassage darunter,
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