Die Augen Rasputins
vergilbt und fleckig. Es war wohl lange Zeit mehrfach gefaltet gewesen, einige Kniffe unterteilten das Paar auf dem Bild in acht Stücke, als ob sie gegen die innige Umarmung protestierten. Einer der Kniffe lief mitten durch den Oberkörper eines jungen Mädchens, das mit beiden Armen die Taille des Mannes umschlang und sein Gesicht gegen dessen Brust drückte. Der Mann hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt und verdeckte fast ihren ganzen Kopf. Sehr symbolisch, fand Edmund. Den freien Arm hielt der Mann in die Höhe gereckt, ein lässiger und siegesbewußter Gruß zum Publikum und dem Fotografen hinüber. Edmund kannte dieses Foto zur Genüge, es gab nur dieses eine. Er kannte auch den Artikel dazu, die reißerische Schlagzeile. Rasputin hatte die Sensationspresse ihn genannt, den Mann mit dem dämonischen Blick. Heiko Schramm! Ein Mann, der im Gerichtssaal nur einmal kurz und scheinbar gelangweilt zur Zeugenbank hinüberschaute und den Hauptbelastungszeugen damit in ein zitterndes und stammelndes Bündel verwandelte. Edmund erinnerte sich daran, daß in einem Zeitungsbericht die Rede davon gewesen war. Nicht in dem, zu dem das Foto gehörte, in einem anderen. Man hatte den Angeklagten vorübergehend aus dem Gerichtssaal entfernen müssen, erst dann hatte der Zeuge seine Aussage zu Ende bringen können. Edmund schüttelte sich, ohne es zu bemerken. Mit diesem Foto hatten sie vor Jahren gearbeitet, der Therapeut und seine Patientin. Es hatte zu den Unterlagen gehört, die Paul Großmann ihm auf wiederholtes Drängen hin vor Jahren aushändigte. Gerichtsakten, Vernehmungsprotokolle, Zeitungs-artikel, weil ihr Tagebuch allein nicht ausreichte, um den Schaden abschätzen zu können, den Heiko Schramm angerichtet hatte. Und später hatte Edmund den ganzen Papierkram an Paul zurückgegeben. Da war dieses Foto allerdings nicht mehr dabei gewesen. Das hatte Patrizia kurz vorher zerrissen. Er sah es noch vor sich, ihre schlanken Finger, ihr Lächeln, als sie die Schnipsel auf den Boden fallen ließ. Und wie sie sich dann aus dem Sessel erhob, auf die Tür zuging, ohne darauf zu achten, wohin sie trat. Bei der Tür hatte sie sich noch einmal zu ihm umgedreht, immer noch lächelnd auf die Fetzen gezeigt.
»Ungeziefer muß man zertreten, nicht wahr? «
hatte sie ihn gefragt. Und als er nickte, angefügt:
»Ich glaube, wenn er mir jetzt auf der Straße begegnen würde, ich könnte ihn anspucken. Vielleicht könnte ich ihn sogar töten. «
Töten, dachte Edmund, ohne sich dessen richtig bewußt zu werden. Er sah nur das alte Foto. Die Aufnahme, die da auf dem Küchentisch lag, konnte gar nicht mehr existieren. Aber es hatte damals wohl mehr als eine Zeitung gegeben, in der sie erschienen war. Und mehr als eine Person, die ein Interesse daran hatte, das grobkörnige Foto als Erinnerung
aufzubewahren. Edmund fühlte, daß Übelkeit in ihm aufstieg. Er wußte von Paul und auch von Patrizia, wann das Bild entstanden war, gleich nach der Urteilsverkündung. Ein viel zu mildes Urteil, ein viel zu weicher Richter. Doch die Umstände waren entsprechend gewesen, und Schramms Verteidiger, zwar nur ein Pflichtverteidiger, aber einer von diesen jungen Idealisten, die sich zuviel mit Soziologie beschäftigten, hatte das Beste daraus gemacht. Hatte es geschafft, Heiko Schramm als ein Opfer der Umstände hinzustellen. Deprimierte Jugend und so weiter. Ohne Vater aufgewachsen, keinen Schulabschluß, keine vernünftige Berufsausbildung, kein richtiges Elternhaus, ein oder zwei Aufenthalte in Erziehungsheimen nach kleineren Vergehen in jungen Jahren, ansonsten keine Auffälligkeiten. Das war typisch! Nur weil sie ihn bis dahin nie geschnappt hatten, gingen sie davon aus, daß er sich nach ein paar kleineren Jugendsünden nichts mehr hatte zuschulden kommen lassen. Kein Mensch kam auf den Gedanken, daß er es nur deshalb jahrelang geschafft hatte, der Aufmerksamkeit der Polizei zu entgehen, weil er in Wahrheit ein ganz gerissener Hund war. Und das war er, Edmund wußte es. Rauschgifthandel! Das war nur die Spitze des Eisbergs. Im Prozeß hatte sich gezeigt, daß Schramm zu allem fähig war. Patrizia kannte die Akten ebensogut wie er. Edmund war fest überzeugt, daß sie, wenn dieses Scheusal erneut auf der Bildfläche erschienen war, niemals freiwillig…
Es war normalerweise nicht Eds Art, einen Unbekannten in dieser Weise abzustempeln, Scheusal, Dreckskerl, Schweinehund. Aber er hatte damals recht bald damit begonnen, Schramm mit
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