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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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verschwieg Ed.
    Die Provokation des Täters durch sein Opfer. Da stand Aussage gegen Aussage, und vor Gericht zählten nur die Fakten, Rippenbrüche, Nierenquetschung, Schädelbruch, die Verletzung der Hand, zertreten!
    Und Ed schilderte ihr Schramms Reaktion auf diese
    Aufzählung. Keine Spur von Reue, kein Zeichen von Bedauern für sein Opfer. Und warum das alles? Weil ein dummes, kleines Mädchen einem kaltblütigen Ganoven auf den Leim ging, weil es sich auf eine so infame Weise mißbrauchen ließ, weil es jedes Wort glaubte, auch wenn es noch so offensichtlich eine Lüge war.
    Jedesmal saß sie ganz steif in ihrem Sessel, verzog keine Miene, wartete auf die Absolution. Sie mußte nie lange warten.
    Nachdem die Sünden aufgezählt waren, zählte Ed eine halbe Stunde lang Entschuldigungen auf. Alles ganz natürlich, die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, die Jugend, die Umstände daheim, behütet aufgewachsen, voll Vertrauen in die Mitmenschen. Und Vertrauen war etwas Schönes, etwas Gutes, niemand konnte das verurteilen. Es war ein Dressurakt, zuerst die Peitsche, dann das Zuckerbrot. Und sie lernte schnell.

    Dann kam sie eines Tages mit bedrückter Miene in die Praxis.
    Es war bereits Herbst, mehr als neun Monate nach Beginn der Behandlung. Ed sah auf Anhieb, daß etwas nicht in Ordnung war, aber er forderte sie nicht auf zu reden. Erst die Peitsche, fünfzehn Minuten lang Vorwürfe. Wie konntest du nur, du dummes Ding?! Der arme Mann im Rollstuhl.
    Während er sprach, hielt sie den Kopf gesenkt, nestelte an ihrem Pullover herum, atmete gepreßt. Als Ed dann schwieg, hob sie den Kopf.

    »Gestern war Frau Retling da. Am
    Nachmittag, für eine halbe Stunde. «

    Ed schwieg und signalisierte Aufmerksamkeit. Sie brauchte ein paar Sekunden, ehe sie weitersprechen konnte.

    »Herr Retling ist jetzt wieder daheim. Sie haben ihn vor zwei Tagen entlassen.
    Er muß auch nicht mehr in den Rollstuhl, er kann wieder gehen.
    Nicht ganz alleine, er braucht Krücken, aber es geht wieder. Er will auch wieder arbeiten. «

    Ed nickte kurz, wartete darauf, daß sie fortfuhr. Das tat sie nach einer Weile. Senkte den Kopf wieder, dämpfte die Stimme:

    »Frau Retling hat gefragt, wann ich denn wieder zur Arbeit kommen könnte. «

    Als nichts weiter kam, erkundigte sich Ed:

    »Was haben Sie geantwortet, Patrizia? «

    Sie zuckte mit den Schultern, schürzte die Lippen wie ein störrisches Kind.

    »Nichts. Ich habe ja nicht selbst mit ihr gesprochen. Als sie kam, bin ich in mein Zimmer gegangen.
    Meine Mutter hat sich mit ihr unterhalten. Meine Mutter hat gesagt, ich kann nicht mehr arbeiten. «

    »Wie denken Sie darüber, Patrizia? «

    Noch einmal hob sie die Schultern, aber sie antwortete ihm nicht.

    »Sie sind gesund «, sagte Ed,»Sie können jederzeit arbeiten, nichts hindert Sie daran. Sie hätten sich schon vor Monaten einen neuen Ausbildungsplatz suchen können. Warum haben Sie
    es nicht getan? «

    »Wer hätte mich denn genommen? «

    murmelte sie.
    Beinahe hätte Ed gelächelt. Sie hatte wirklich Fortschritte gemacht.

    »Nun «, sagte er gedehnt,»ich verstehe, daß Sie sich die Enttäuschungen einiger Absagen ersparen wollten.
    Enttäuschungen haben Sie genug erlebt, das reicht für ein ganzes Leben, nicht wahr? «

    Als sie kurz nickte, fuhr er fort:

    »Aber nun können Sie ja Ihre Ausbildung beenden. Wenn Frau Retling sich persönlich nach Ihnen erkundigt, werden sie und ihr Mann diese furchtbaren Ereignisse ebenso sehen, wie ich sie sehe. Es war nicht Ihre Schuld, Patrizia. «

    »Trotzdem «, murmelte sie undeutlich.
    Ed hatte sie dennoch verstanden und fragte:

    »Was heißt das, trotzdem? «

    Bis dahin hatte sie auf ihre Beine gestarrt, nun schaute sie ihn an. Sie schluckte einmal heftig, bevor sie ausstieß:

    »Da kann ich doch nicht mehr hingehen! «

    »Warum nicht, Patrizia? «

    Sie starrte ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden. Und plötzlich rutschte sie von der Sesselkante auf den Boden, schlug mit der Stirn immer wieder gegen die Kante des Beistelltisches, schrie dabei mit sich überschlagender Stimme:

    »Es tut mir leid!
    Es tut mir leid! Es tut mir leid! «

    Ed erinnerte sich später nicht mehr daran, wie oft sie diesen Satz hinausgeschrieen hatte. Sehr oft, sehr lange, bis er bei ihr war und sie vom Boden hochzog. Und das dauerte ein wenig, weil ihre heftige Reaktion ihn selbst im ersten Augenblick erschreckt und ganz lahm gemacht hatte.
    Sie hatte sich die Stirn aufgeschlagen. Ein

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