Die Augen Rasputins
kriegst. Aber ich weiß nicht, ob Eier da sind. «
»Laß die Tür bitte auf «, sagte sie, als er hinausging und dabei nach der Klinke griff, es klang ganz lässig und beiläufig,»es ist so warm hier drin. «
Er antwortete ihr nicht, stieg einfach die Treppe hinauf. Sie hörte seinen Schritt noch, als er durch die Diele ging. Dann wurde oben eine Tür geöffnet und gleich wieder geschlossen, die zur Küche vermutlich. Sie hörte seine Stimme, zu gedämpft,
um verstehen zu können, was er sagte.
Sie wartete noch ein paar Sekunden lang, ob er ihrer Bitte nachkam und Frau Retling herunterholte. Es geschah nichts, was darauf hindeutete. Da trat sie endlich in den Gang hinaus.
Vielleicht stand der Koffer noch in der Diele. Er stand ganz bestimmt noch dort. Es hatte doch keinen Grund gegeben, ihn an einen anderen Platz zu bringen. Vielleicht brachte er ihn sogar später mit hinunter, zusammen mit der Decke und dem Papier.
Darauf wollte sie nicht warten.
Es waren eindeutig zwei Stimmen, die in der Küche sprachen.
Er und der Dicke? Ein kleines Risiko, ein ganz winziges, das sie ohne weiteres eingehen konnte. Die Wahrscheinlichkeit, daß Frau Retling schon vorher bei ihm in der Küche gewesen war und der Dicke oben mit Herrn Retling zusammen, war
verschwindend gering. Hinaufschleichen, die Waffe aus dem Koffer nehmen, zur Küchentür, sie öffnen. Und dann? Gleich abdrücken? Oder darauf hoffen, daß sie beide Männer in Schach halten konnte? Nein! Das traute sie sich nicht zu. Eds Stimme sprach auch dagegen. Gleich abdrücken, das würde am besten sein.
Von oben waren Geräusche zu hören, ein Klappern wie von Metall. Wohl ein Topf, der auf eine Herdplatte gestellt wurde.
Bis zur Treppe waren es fünf oder sechs Schritte. Ihre Schuhe waren völlig lautlos. Weiche Mokassins. Die erste Stufe hinauf, die zweite. Und von oben die gedämpften Stimmen, zu
verstehen war kein einziges Wort. Aber daß es Männerstimmen waren, erkannte sie jetzt.
Natürlich dachte Schramm nicht im Traum daran, Frau Retling zu bitten, die Suppe zu kochen.
»Die bleiben oben «, hörte sie ihn im Geist noch einmal sagen, und:
»Dann quartieren wir die beiden Alten um. «
Im Schlafzimmer eingesperrt! Vielleicht war es ganz gut so.
Wenn sie es nicht schaffte, den Koffer an sich zu bringen. Wenn
die Polizei ins Haus stürmen mußte, konnte es nur von Vorteil sein. Die Retlings im ersten Stock, sie selbst im Keller. Und zwei Verbrecher, von denen einer die Treppe hinauf- und einer die Treppe hinunterhetzte. Und wenn die Polizei schnell genug war – und das war sie ganz bestimmt – erreichte keiner von beiden sein Ziel.
Die dritte Stufe, die vierte, die fünfte, sechste, siebte, achte.
Schon zu weit oben, um noch rechtzeitig zurück in den Gang zu kommen und die Tür zur Toilette zu öffnen, falls jetzt da oben eine Tür geöffnet wurde. Sie schwitzte, hielt den Atem an, dachte an Ed und daß er sehr stolz auf sie sein würde.
Hätte die Treppe zur Diele hin nur ein Geländer gehabt, das ihr schon vorab einen Blick auf den Koffer erlaubt hätte, einen beruhigenden und anspornenden Blick. Aber da oben war die weiß getünchte Mauer. Sie mußte ganz hinauf, schwitzte Blut und Wasser bei jeder Stufe, schaffte es nur, weil sie unentwegt an Ed dachte. Und es war alles umsonst. Als sie endlich einen Blick um die Mauer herum werfen konnte, war da nichts mehr, das die Aufregung gelohnt hätte. Nur die Geräusche aus der Küche, die Stimmen, seine und die des Dicken, der sagte:
»Hier sind keine Eier. Es wird ja wohl auch ohne gehen. «
Die Haustür war so nahe. Zwei, drei mächtige Sätze, die Tür aufreißen, zum Nachbargrundstück laufen. Und die Retlings? Es war eine Entscheidung, die sie im Bruchteil einer Sekunde treffen mußte. In der Küche antwortete er dem Dicken:
»Wenn sie Eier will, kriegt sie welche. Weil ich will, daß sie welche kriegt, ist das klar? Geh mal runter in ’n Keller. Da ist ’n Vorratsraum, vielleicht sind da welche. «
Als die Küchentür geöffnet wurde, war sie bereits auf halbem Weg nach unten. Sie sprang die letzten Stufen zum Gang hinunter, kam federnd auf, griff sofort nach der Klinke der Toilettentür. Die ganz hinter sich zu schließen, schaffte sie nicht mehr, da war der Dicke bereits um das Mauerstück gebogen, hatte sie gesehen und angegrinst mit seinem widerlich feisten
Gesicht.
Sie schloß die Tür hinter sich ab, lehnte sich gegen die Wand und wartete darauf, daß der Herzschlag
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