Die Augen Rasputins
auf den Hauseingang zu. Er folgte ihr. Als er sie erreichte, stand sie gebückt und versuchte, mit Hilfe ihres Feuerzeugs die Namensschilder neben den Klingelknöpfen abzulesen. Es war trostlos, mehrere Knöpfe waren herausgerissen, neben anderen fehlte der Name. Edmund schaute an der Fassade hoch, hinter einigen Fenstern brannte Licht.
»Hoffentlich ist sie daheim «
murmelte er.
Dorothea richtete sich auf, drückte gleichzeitig auf einen der Knöpfe.
»Natürlich ist sie daheim. Wo soll eine alte Frau denn um die Zeit sonst sein? «
»Unterwegs «, sagte Edmund,»um ihren Sohn dahingehend zu informieren, daß Gerda angerufen hat. Wer ist das überhaupt? «
»Eine gute Bekannte von ihm «, erklärte Dorothea.
»Du mußt ihn ja damals gut gekannt haben. Ich wußte gar nicht, daß… «
»Du kannst nicht alles wissen, Ed «, unterbrach sie ihn lakonisch. Sie wollte noch etwas anfügen, wurde ihrerseits vom Knacken einer Gegensprechanlage unterbrochen.
Eine dünne Stimme:
»Ja? «
Dorothea beugte sich zu den Schlitzen hinunter.
»Frau Schramm, ich bin es, Gerda. Wir haben eben
miteinander telefoniert, Sie erinnern sich sicher. Kann ich mal raufkommen? «
Sie mußte eine Weile verhandeln. Edmund wunderte sich über ihre Zähigkeit und den Erfindungsreichtum, den sie dabei zeigte.
Wirklich eine phantasievolle Familie, was den Eltern fehlte, machten die Töchter doppelt und dreifach wett. Endlich summte der Türöffner.
Edmund folgte Dorothea in den Hausflur, stieg hinter ihr die Treppen hinauf in den dritten Stock. Die Beleuchtung reichte nur bis ins zweite Stockwerk, im dritten war sie anscheinend defekt.
»Was machst du, wenn sie Gerda kennt? «
Dorothea zuckte nur mit den Achseln, und irgendwie
bewunderte er sie. Sie wirkte so gelassen. Dann stand er im Halbdunkel neben ihr vor einer Wohnungstür. Sie klopfte, die Tür wurde geöffnet, nur einen Spalt breit. Die Frau im Spalt war Ende Fünfzig, Anfang Sechzig, mittelgroß, grauhaarig, ordentlich gekleidet. Sie hatte ein schmales Gesicht, in jungen Jahren war sie bestimmt hübsch gewesen. Häßlich war sie auch jetzt nicht. Nur wirkte sie verbraucht, erschöpft. Trotzdem war die Ähnlichkeit zwischen ihr und Schramm unverkennbar. Sie betrachtete sie mit einem mißtrauischen Blick. Schaute ihnen in die Gesichter, auf die Hände, konzentrierte sich dann auf Dorothea.
»Das ist mein Schwager «, erklärte Dorothea beiläufig,»er hat mich rasch gefahren. Können wir für einen Moment
hereinkommen, Frau Schramm? «
Die Frau zögerte.
»Worum geht’s denn überhaupt? «
»Nicht hier «, sagte Dorothea und wies mit einer
bezeichnenden Geste zu den Türen der Nachbarwohnungen.
Die Frau machte keine Anstalten, sie herein zu bitten. Sie schüttelte abwehrend den Kopf, meinte:
»Sie wollen doch nichts abgeben. Sie sind von der Polizei, oder? Nimmt das denn nie ein Ende? Was wollen Sie ihm denn jetzt wieder anhängen? «
»Nichts, Frau Schramm, wir wollen ihm nichts anhängen. Wir wollen nur verhindern, daß ihm etwas zustößt. «
Gut formuliert, dachte Edmund.
Und Dorothea formulierte nicht nur, im Gegensatz zu ihm handelte sie auch. Noch während sie sprach, streckte sie eine Hand aus, legte sie der Frau auf die Schulter, schob sie ganz sachte von der Tür zurück. Folgte ihr und erklärte dabei:
»Er war heute morgen bei meiner Schwester. Bei Patrizia, erinnern Sie sich an den Namen? «
Als die Frau kurz nickte, fuhr Dorothea fort:
»Sie ist bei ihm, wir nehmen es jedenfalls an. «
Zuerst schien die Frau ein wenig erschrocken und verwirrt.
Dann begann sie zu lächeln. Sie nickte noch einmal.
»Ich verstehe «, murmelte sie. Stellte etwas lauter fest:
»Und das paßt Ihnen nicht. Und jetzt wollen Sie von mir wissen, wo die beiden sind. Aber das weiß ich nicht. «
»Vielleicht denken Sie einmal nach «, forderte Dorothea.
Edmund hatte die Wohnungstür geschlossen, betrachtete die Frau, den abweisenden Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Und worüber soll ich nachdenken? «
Schramms Mutter
lächelte immer noch. Dorothea wußte anscheinend nicht weiter.
Sie warf Edmund einen hilfesuchenden Blick zu. Als der sich nicht rührte, sprach sie weiter:
»Er ist doch gestern abend nicht einfach weggegangen. Er muß doch irgend etwas gesagt haben. «
Ein Achselzucken, ein Kopfschütteln.
Edmund stand einfach nur da und hörte zu. Daheim war er noch zuversichtlich gewesen. Eine Mutter, da schien das so einfach. Wenn
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