Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
schrumpfte. Die Zeiten, da hier unschuldige Passanten angelockt worden waren, altöltriefende Pommes frites zu tanken, schienen vorbei. Um die Theken stand nun ein Hauch von Verlassenheit.
    Am Ende der Bahnhofstraße wurde Herrn Faustini leichter. Er wusste jetzt wieder, weshalb er für gewöhnlich einen Bogen um Dornbirn machte. Von den Tücken der Bahnhofstraße war im Hochglanzmagazin nichts zu finden gewesen. Ob die Dornbirner ihre Bahnhofstraße einem ahnungslosen ausländischen Investor andrehen könnten?
    Die Bahnhofstraße mündete in die leere Fußgängerzone. Herr Faustini prüfte unwillkürlich, ob seine Beine noch da waren, dann schritt er über den Marktplatz, den die wuchtigen Säulen der überdimensionierten Pfarrkirche dominierten. Ein paar Schritte weiter, vorbei an Kleidergeschäften, einer Bank, einem Papiergeschäft, einem Biergarten, und die Fußgängerzone und mit ihr das Stadtzentrum waren zu Ende.
    In einem Gastgarten saßen ein paar müde Männer vor ihrem Bier, als Herr Faustini vorbeiging auf der Suche nach der Stadt. Wohin immer er seinen Blick wandte, sah er das Versprechen auf eine Stadt, die nicht da war. Hier musste sie doch sein. Aber wieder nur gähnend leere Straßen. Herr Faustini ging geradeaus und war schon draußen aus der Stadt, die nicht da war.
    An einem Gartentor standen zwei Männer. Ob er sie fragen könnte, wo sich hier die Stadt versteckt hielt? Da sagte einer der beiden Männer in nasalem Ton: Das Kricket-Spiel ist auch nicht rasenschonend. Der andere nickte, als hätte er verstanden. Dabei war deutlich sichtbar, dass auch er in Gedanken anderswo war. Herr Faustini jedenfalls hatte nichts verstanden. Nur dass zwischen dem nasalen Ton des Mannes und dem herrschaftlichen Haus hinter ihm ein Zusammenhang bestehen musste. Das ist laut dem Magazin die Gartenstadt, dachte Herr Faustini, was bedeutete, dass es Herrschaftshäuser gab mit großen Gärten, in denen man ganz von selbst begann durch die Nase zu reden. Das mochte vom täglichen Prüfen des Dufts der Rosen kommen, die den Aufgang zu jedem herrschaftlichen Haus säumen. Wer ständig den Duft wunderbarer Rosen einatmete, dessen Stimme nahm vielleicht einen Tonfall an, der leicht als Herrschaftstonfall missverstanden wurde. Als Herrschaft hatte man es in diesem Land zu dieser Zeit auch nicht leicht. Vorbei waren die Zeiten, da man wie ein König in seinem Schloss residierte. Was blieb einem anderes übrig, als über unbezahlbare Personalkosten zu jammern? Wer jammerte hier eigentlich? Stand da ein verarmter Graf auf den Stufen und klagte in den Sommertag? Nein, Rosen, Portale, Herrschaften, das alles war nur Herrn Faustinis kleine Sommerphantasie, ein Blick durch den Zaun der Zeit. Oder hatten die Altdeutschen Stuben wieder einmal gesiegt und Herrn Faustini aus seiner eigenen Haut fallen lassen?
    Herrn Faustinis Blick fiel durch einen Gartenzaun auf einen alten Steinbrunnen, in dessen Wasser sich die Abendsonne spiegelte, als ihn der Geruch von Duschgel ablenkte. An ihm gingen zwei junge Männer vorbei, ganz in eine Wolke aus Gerüchen gehüllt, die ohne Zweifel der Anlockung von jungen Frauen dienten. Das Haar des einen Burschen wippte zuversichtlich, während der andere über sein Mobiltelefon im breitesten, raumverdrängenden Dialekt eine Verabredung einfädelte. Herr Faustini folgte den beiden, gerade weit genug entfernt, um nicht in ihre Duschgelspur zu geraten, gerade weit genug, um seine eigene Witterung aufnehmen zu können. Die beiden näherten sich dem Marktplatz, von wo ein eigenartiges Summen zu hören war, oder war es mehr ein Vibrieren? Im Schaufenster einer alten Buchhandlung lag noch immer, wie schon vor zwanzig Jahren, Mein erstes Kochbuch , und es sah genauso aus wie damals. Herr Faustini blieb einen langen Augenblick stehen und sah in die Tiefe der Jahre hinab, die aus dem Umschlag des Kochbuchs heraufstiegen. Das war wieder so ein Moment, der Gefahr lief, nicht zu vergehen. Er hätte gut und gerne einen Monat, vielleicht auch ein Jahr vor Mein erstes Kochbuch verharren können, das er – vor wie vielen Jahren? – schon in welcher Küche hatte stehen sehen?
    Er gab sich einen Ruck und ging weiter. Seine Beine folgten ihm. Das Summen wuchs mit jedem Schritt an. Ein heiseres Lachen, ein zweites Lachen antwortete. Er bog um die Ecke und übersah den Marktplatz, der schwarz war von Menschentrauben, die um ein paar Weinstände herum aneinanderklebten. Eine eigene elektrische Spannung lag in der Luft.

Weitere Kostenlose Bücher