Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Tür, von der Tür auf die Straße gehen wollte, ohne dass jeweils unklar war, wer hier ging und saß und stand.
Sie sind eben sensibler als die meisten, meinte Frau Nussbächle. Sie nehmen den Riss wahr, wo andere nichts bemerken. Das ist auch eine Gabe. Sie sollten diese Gabe ehren. Denn diese Gabe bedeutet, dass Sie zwar viel unter den kleinen Störungen des Alltags leiden, dass Sie andererseits aber Verlangen danach haben, zur Ruhe zu kommen, mit sich selbst im Reinen zu sein. Vielleicht müssen Sie noch einmal aufbrechen zu einer Fahrt. Jemand wie Sie bleibt nicht ganz von alleine einfach stets bei sich. Sie müssen sich selbst immer wieder neu erobern. Fahren Sie aus und finden Sie Ihren Mittelpunkt, an dem alles zusammenkommt! Sie werden sehen, auch der Riss ist nur eine Illusion.
Herr Faustini hatte sich bei Frau Nussbächle in Reparatur begeben, die ihn am Ende der Behandlung wissen ließ, dass nur er selbst sich reparieren könne. Ein mit teuren Apparaten behandelnder Facharzt für Radiologie müsste bei mehreren Patienten mit einem solchen Befund seine Praxis schließen. Frau Nussbächle fuhr unmittelbar nach der letzten Sitzung zur Erholung ans Meer. Es schien für ihr weiteres Leben nicht von zentraler Bedeutung, ob Herr Faustini den Riss würde kitten können.
Herr Faustini ging gedankenlos die Bahnhofstraße entlang. Als er seine Haustüre öffnete, bemerkte er, dass er irgendwie nach Hause gekommen war. Er stellte den Fressnapf für den Kater vors Haus, doch der schnupperte nur daran und schlich wieder in Frau Gigeles Garten.
Herr Faustini wollte nicht verreisen. Zumindest nicht weit weg. Nur so weit weg, dass er von einem Hügel am Horizont den Bodensee würde sehen können. Es half nichts. Er musste über seinen Schatten springen. Im Sprung würde sein Riss vielleicht heilen.
Herr Faustini schlug eine alte Europa-Karte auf und wählte blind einen Landstrich aus. Er öffnete die Augen. Sein Finger zeigte auf einen Ort namens Edenkoben.
3
Die Zugauskunft der Österreichischen Bundesbahnen war ein Tonband, das Herrn Faustini darum bat, eine von fünf Nummern auf seinem Telefon zu wählen. Er wählte aus Ratlosigkeit blind.
Mein Name ist Judith Robatscher, was kann ich für Sie tun?
Ist das denn die Möglichkeit!, rief Herr Faustini, der schon befürchtet hatte, sich mit einem, wie hieß das doch: interagitierten oder so ähnlich Tonband unterhalten zu müssen. Nein, es war Judith Robatscher persönlich, die ihn schon einmal zielsicher dirigiert hatte, nach Ascona zum Geburtstag seiner Schwester, und zwar nicht über die schnellere Route, sondern über die schnurgerade mit dem Bus durch die Via Mala und über den San Bernardino hinunter ins blumenreiche Tessin, wo ihm die Augen aufgegangen waren.
Was kann ich für Sie tun?, wiederholte Frau Robatscher.
Ich bins, Frau Robatscher, Faustini, der, dem Sie so vorzüglich den Weg ins Tessin geebnet haben!
Entschuldigen Sie, meinte Frau Robatscher, aber wir arbeiten hier im Schichtwechsel bei Tausenden von Auskunftsbegehren pro Tag. Was kann ich also für Sie tun?
Selbstverständlich will ich Sie nicht über Gebühr beanspruchen, Frau Robatscher. Nachdem Sie mir damals so vorzüglich weitergeholfen haben, möchte ich Sie unter keinen Umständen zu lange aufhalten. Ich möchte nämlich nur an einen Ort, den mir mein Finger gerade eben auf der Landkarte gezeigt hat. Es ist eine recht große Landkarte im Maßstab 1 : 600.000, wissen Sie. Und da wollte ich Sie nun rundheraus fragen, welche Zugverbindung Sie mir an diesen Ort bieten können, den mein Finger sich auf der Karte ausgesucht hat. Verstehen Sie?
Frau Robatscher schwieg.
Nun also, setzte Herr Faustini fort, der Ort heißt Edenkoben.
Frau Robatscher schwieg.
Soll ich vielleicht …, sagte Herr Faustini.
Frau Robatscher schwieg.
… buchstabieren?, fragte Herr Faustini.
Ja, buchstabieren Sie bitte, Herr ähm ...
Also: E wie einerlei ist keinerlei, d wie das wäre doch gelacht, e wie zum zweiten Mal einerlei oder keinerlei, n wie nach Ihnen bitte, k wie könnten Sie bitte anderswo parken, o wie ohne mich bitte.
Herr ähm ... hallo ...
B wie brauchen Sie heute wirklich keinen Regenschirm?
Herr ähm ... Faustobello ... hallo ...
Faustini, sagte Herr Faustini.
Ja, Herr ... also, so kann ich Ihnen nicht folgen.
Buchstabiere ich zu schnell?, fragte Herr Faustini.
Es ist mehr die Wahl Ihrer Vergleiche ...
Habe ich Sie damit erschreckt, liebe Frau Robatscher? Erkennen Sie mich immer
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