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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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in Nacoyas Augen nicht bemerken. Mara biß sich leicht auf die Lippen, dann hielt sie inne. Diese nervöse Angewohnheit hatte ihr bei vielen Gelegenheiten den Tadel Nacoyas eingebracht. Statt dessen holte das Mädchen tief Luft und betrat das Haus ihres Vaters. Das fehlende Echo seiner Schritte auf dem polierten Boden vermittelte ihr ein Gefühl der Einsamkeit.
    »Lady?«
    Mara blieb stehen, die Hände unter dem zerknitterten weißen Umhang zu Fäusten geballt. »Was ist?«
    Der Hadonra ergriff wieder das Wort. »Willkommen zu Hause, Mylady«, fügte er den formellen Gruß hinzu. »Ich bin Jican, Lady«
    »Was ist aus Sotamu geworden?« fragte Mara leise.
    Jican blickte auf den Boden. »Er ist aus Kummer gestorben, Mylady, seinem Herrn in den Tod gefolgt.«
    Mara brachte nur ein kurzes Nicken zustande und strebte weiter auf ihre Gemächer zu. Es überraschte sie nicht zu hören, daß der alte Hadonra sich geweigert hatte, Nahrung oder Flüssigkeit zu sich zu nehmen, nachdem Lord Sezu gestorben war. Da er bereits ein alter Mann gewesen war, konnte es nur wenige Tage gedauert haben. Geistesabwesend dachte sie darüber nach, wer wohl Jican zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Als sie sich anschickte, einen der langen Säulengänge am Rande des in der Mitte des Hauses liegenden Gartens entlangzugehen, hielt Nacoya sie auf. »Mylady, Eure Gemächer liegen auf der anderen Seite des Gartens.«
    Mit Mühe brachte Maya ein weiteres Nicken zustande. Ihren persönlichen Besitz hatte man vermutlich bereits in die Gemächer ihres Vaters geschafft – die größten im ganzen Gebäude.
    Sie ging steif weiter und schritt die Länge des rechteckigen Gartens entlang, der in jedem großen tsuranischen Haus das Herzstück bildete. Das geschnitzte, hölzerne Gitterwerk, das die Balkone über ihr einfaßte und die Blumenbeete und den Brunnen unter den Bäumen im Hof umgab, wirkte nach der Steinarchitektur der Tempel befremdlich. Mara ging weiter, bis sie vor der Tür zu den Gemächern ihres Vaters stand. Auf den Laden war eine Kampfszene gemalt, eine legendäre Schlacht, die die Acoma gegen einen langvergessenen Feind gewonnen hatten. Der Hadonra Jican schob die Tür auf.
    Mara zögerte einen Augenblick. Es versetzte ihr einen Stich, ihr eigenes Hab und Gut in den Gemächern ihres Vaters zu sehen, und beinahe verlor sie die Kontrolle. Es war, als hätte der Raum selbst sie betrogen. Zusammen mit dieser merkwürdigen Verzweiflung kam die Erinnerung: Das letzte Mal hatte sie diese Türschwelle an jenem Abend betreten, als sie mit ihrem Vater gestritten hatte. Obwohl sie normalerweise ein ausgeglichenes und gehorsames Kind gewesen war, hatte sie damals die Wut genauso erfaßt wie ihn.
    Mit hölzernen Schritten ging Mara weiter. Sie betrat das leicht erhöhte Podest, ließ sich in die Kissen sinken und winkte die Zofen, die auf ihre Anweisungen warteten, zur Seite. Keyoke, Nacoya und Jican traten ein und verbeugten sich formell vor ihr. Papewaio blieb an der Tür stehen und beobachtete vom Garten aus den Eingang.
    »Ich möchte mich etwas ausruhen«, sagte Mara mit rauher Stimme. »Die Reise hat mich sehr ermüdet. Laßt mich jetzt allein.« Die Dienerinnen verließen sofort den Raum, doch die anderen drei zögerten. »Was ist los?« fragte Mara.
    Nacoya antwortete: »Es gibt eine Menge zu tun – vieles davon kann nicht warten, Mara-anni.«
    Die Verniedlichung ihres Namens war von Nacoya als liebevolle Geste gemeint, doch für Mara wurde sie nur zum Zeichen all dessen, was sie verloren hatte. Sie biß sich auf die Lippe, als der Hadonra sagte: »Mylady, viele Angelegenheiten sind seit … seit dem Tod Eures Vaters unbeachtet liegengeblieben. Eine Reihe von Entscheidungen muß schnell getroffen werden.«
    Keyoke nickte. »Lady, Eure Erziehung hat all das außer acht gelassen, was man wissen muß, um ein großes Haus führen zu können. Ihr müßt jetzt die Dinge lernen, die wir Lanokota beigebracht haben.«
    Das unangenehme Gefühl bei der Erinnerung an die wütenden Sätze, die sie in der letzten Nacht mit ihrem Vater ausgetauscht hatte, löste sich schlagartig auf, als Mara erneut bewußtgemacht wurde, daß ihr Bruder nicht länger Erbe war. »Nicht jetzt. Noch nicht.« Sie flehte beinahe.
    Nacoya ergriff wieder das Wort. »Kind, Ihr dürft Eurem Namen nicht untreu werden. Ihr –«
    Maras Stimme wurde lauter, sie war voller Gefühle, die sie zu lange hatte zurückhalten müssen. »Ich sagte, jetzt nicht! Die Zeit der Trauer steht noch

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