Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
mittlerweile war auch klar, dass es mehr als einer war.
Er machte sich wieder an die Arbeit.
Mit derselben Methode, mit der er Albys Arme und Beine meterweise nach oben schob, arbeitete Thomas sich langsam die Wand hoch. Er kletterte, bis er direkt unter dem Körper war, wickelte sich selbst eine Efeuranke um die Brust, damit er nicht abrutschte, schob Alby, so weit es irgend ging, an seinen vier Gliedmaßen nach oben, dann band er ihn mit Efeu fest. Dann wiederholte er den ganzen Vorgang.
Klettern, wickeln, hochschieben, festbinden.
Klettern, wickeln, hochschieben, festbinden. Die Griewer schienen sich zumindest langsam durch das Labyrinth zu bewegen, ihm blieb noch ein wenig Zeit.
Stückchenweise bewegten sie sich die Wand hoch. Es war unglaublich anstrengend; Thomas keuchte die ganze Zeit, er war über und über schweißbedeckt. Seine Hände rutschten immer öfter an den Lianen ab. Die in die Steinritzen gepressten Füße schmerzten. Die Geräusche wurden lauter – diese fürchterlichen Geräusche. Und trotzdem machte Thomas weiter.
Als sie eine Stelle ungefähr zehn Meter über dem Boden erreicht hatten, hielt Thomas inne und schwang sich an der um seine Brust gewickelten Liane herum, dass er in Richtung Labyrinth blickte.
Jedes winzige Teilchen seines Körpers war so erschöpft, wie er das nie für möglich gehalten hätte. Seine Arme waren wie Gummi und seine Muskeln brannten. Er konnte Alby keinen Zentimeter weiter hochschieben. Jetzt war Schluss.
Das musste als Versteck reichen. Oder als Ort des Kampfes.
Dass er es nicht bis ganz nach oben schaffen würde, hatte er von vornherein gewusst. Er hoffte nur, die Griewer würden oder konnten nicht nach oben schauen. Von oben konnte er vielleicht besser gegen einen nach dem andern kämpfen, statt am Boden von den Monstern überwältigt zu werden.
Er hatte keine Ahnung, was ihm bevorstand, und er wusste nicht, ob er den Morgen erleben würde. Aber hier im Efeu hängend würden Thomas und Alby sich ihrem Schicksal stellen.
Mehrere Minuten vergingen, bevor Thomas das erste Licht sah, das gegen die Labyrinthwände weiter hinten schien. Die grässlichen Geräusche, die seit einer Stunde ständig lauter geworden waren, wurden jetzt zu einem hohen, mechanischen Kreischen, wie der Todesschrei eines Roboters.
Ein rotes Licht an der Wand links von ihnen fiel ihm ins Auge. Er drehte sich um und hätte vor Schreck beinah laut aufgeschrien – wenige Zentimeter von ihm entfernt war eine Käferklinge, die mit ihren spinnedünnen Beinen die Efeublätter durchbohrte und sich irgendwie am Gestein festhielt. Das rote Licht des einen Auges war wie eine kleine Sonne, zu grell, um direkt hineinzublicken. Thomas kniff die Augen zusammen und versuchte den Körper des Käfers zu erkennen.
Der Rumpf bestand aus einem silbernen Zylinder mit einem Durchmesser von vielleicht sieben Zentimetern, fünfundzwanzig Zentimeter lang. Zwölf Beine mit Gelenken waren gleichmäßig an der Unterseite verteilt, das Ding wirkte wie eine schlafende Eidechse. Den Kopf konnte man wegen des roten Lichtstrahls, der ihm direkt in die Augen schien, nicht erkennen, aber er wirkte relativ klein.
Doch dann bemerkte Thomas das Gruseligste an dem Vieh. Er erinnerte sich es früher auf der Lichtung schon gesehen zu haben, als die Käferklinge an ihm vorbei- und in den Wald gehuscht war. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Das rote Licht aus dem Auge beleuchtete fünf schreckliche Buchstaben, die in großen Lettern auf dem Körper standen, als ob sie mit Blut geschrieben wären:
ANGST
Thomas wollte sich nicht ausmalen, warum dieses Wort auf dem Rücken der Käferklinge stand. Es konnte nur einen Grund geben: um die Lichter einzuschüchtern. Um ihnen Angst zu machen.
Es musste sich um einen Spion derjenigen handeln, die sie hierhergeschickt hatten – so viel hatte Alby ihm verraten. Er hatte gesagt, dass die Schöpfer sie so beobachteten. Thomas bewegte sich nicht mehr und hielt die Luft an, weil er hoffte, dass der Käfer vielleicht nur Bewegungen ausmachen konnte. Nach mehreren langen Sekunden schrie seine Lunge nach Luft.
Mit einem Klick und dann einem Klack drehte der Käfer sich um, wieselte davon und verschwand im Efeu. Thomas atmete gierig ein, dann noch mal, und fühlte den Druck der um seine Brust gewickelten Efeuranken.
Ein weiteres mechanisches Quietschen kreischte durch das Labyrinth, jetzt ganz nah, gefolgt vom Schub eines auf Vollgas geschalteten Motors. Thomas versuchte so leblos
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