Die Auserwahlte
wäre ihr ein Leichtes gewesen, den unglaublich schnell zufassenden Händen der beiden Hypnotisierten zu entgehen und sie praktisch noch in derselben Bewegung kampfunfähig zu machen, doch sie tat es nicht. Sie ließ sich von ihren Gegnern packen und tiefer in das Gebäude hineinzerren, dessen Flure und Treppen ineinander verschlungen schienen wie die Eingeweide eines Monstrums. Der widerwärtige Gestank aus Schweiß, Parfüm und - ja, aus Fäulnis ließ den Vergleich als gar nicht so weit hergeholt erscheinen.
Mit jedem Schritt, den Lilith weitergeschleift wurde, kam sie ihrem Ziel ein wenig näher.
Der Höhle des Löwen.
Oder vielmehr: dem Hauptquartier der Vampire von Chinatown.
Tagelang hatte Lilith Eden sich geweigert, ihre neue Mission zu akzeptieren.
Sie hatte es versucht. Vielleicht auch nur geglaubt, es zu versuchen.
Geschafft hatte sie es nicht.
Im Grunde hatte sie es nicht einmal fertiggebracht, auch nur eine einzige Sekunde lang nicht daran zu denken, was ihre neue Bestimmung war, nachdem sie ihre alte erfüllt hatte.
Auf den Punkt gebracht lautete sie: Tod den Vampiren!
Und sie schien Lilith jetzt noch so unmöglich oder doch wenigstens so unvorstellbar schwer, daß sie fürchtete, an dem bloßen Gedanke zerbrechen zu müssen.
Und doch - wenn es überhaupt eine Chance gab, die Aufgabe, die ihr von >allerhöchster Stelle< aufgetragen worden war, zu meistern, dann jetzt!
Jetzt, da es beinahe ein Kinderspiel war, die Spur der Blutsauger, die sich in Jahrtausenden zu den heimlichen Herrschern dieser Welt aufgeschwungen hatten, zu finden.
Wenn man wußte, wonach man Ausschau zu halten hatte, mußte man nicht einmal wirklich suchen. Die Zeichen ihres Wirkens, die die Vampire überall so deutlich hinterließen, als wären sie mit Leuchtfarbe geschrieben, konnte zumindest ein Wesen wie Lilith nicht übersehen.
Die Alte Rasse ließ aus irgendeinem immer noch rätselhaften Grund alle Vorsicht fahren, mit der sie seit Anbeginn der Zeit ihre Macht gefestigt hatte. Die Vampire schlugen nicht mehr aus dem Geheimen heraus zu, sondern traten beinahe öffentlich auf. Sie töteten nicht mehr zum Zwecke des Überlebens, sondern mordeten rücksichtslos, als wäre ihnen alles egal, als wollten sie nur noch so viele Menschen wie möglich mitreißen in den Untergang, der ihnen vorbestimmt war.
Nur die ältesten und mächtigsten der Sippen, deren Oberhäupter, schienen ausgenommen von dieser selbstzerstörerischen Entwicklung. Sie zu richten war Liliths Aufgabe.
Einen von ihnen hatte sie bereits vernichtet. Vor ein paar Tagen erst, in einem stillgelegten Teil des New Yorker U-Bahnnetzes. Dorthin hatte sich die Vampirsippe von Manhattan zurückgezogen. Li-lith hatte den Versammlungsort gefunden und das Oberhaupt in einem mörderischen Kampf besiegt. 1
In der Zeit danach hatte sie erfahren müssen, daß New York nicht nur von einer Sippe beherrscht wurde, sondern daß es mehrere gab, die möglicherweise sogar miteinander rivalisierten. Oder rivalisiert hatten - denn der körperliche Verfall der Blutsauger, der offenbar von einer tödlichen Seuche hervorgerufen wurde, ließ ihnen nicht mehr die Kraft, um irgend etwas anderes zu tun als um das ganz ei-gene Überleben zu kämpfen.
Lilith hatte festgestellt, daß auch Chinatown, dieses fremdartige Viertel mitten in Manhattan, unter der Knute einer eigenen Sippe stand. Nach außen hin mochten hier die Tongs, die Bruderschaften, die Syndikate und kriminelle Jugendbanden das Regiment führen. Doch dahinter standen zweifelsohne jene, die auf der ganzen Welt die Schaltzentralen menschlicher Macht unterwandert hatten und die es eigentlich waren, die die Knöpfe drückten und die Hebel bewegten.
Lilith hatte herausgefunden, wo das Zentrum jenes unsichtbaren Netzes lag, in das die Vampire Chinatown eingesponnen hatten. Ein Gebäude, das Massagesalon, Freudenhaus und Spiel- und Opiumhölle in einem war, war das Hauptquartier der Chinatown-Vampire. Und sie hatte beobachtet, daß Handlanger der Vampire >Nachschub< direkt von der Straße rekrutierten.
Der einfachste Weg, hineinzugelangen, schien ihr somit jener, sich hinein bringen zu lassen.
Und so war Lilith nun bereits die zweite Nacht unterwegs, um das Interesse der Vampirdiener auf sich zu lenken.
Diesmal hatte es geklappt.
Natürlich hätte sie auch versuchen können, auf eigene Faust in das pagodenähnliche Gebäude einzudringen. Und die Erfolgsaussichten wären wohl gar nicht einmal so schlecht gewesen.
Zumindest
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