Die Auserwahlte
unten auf.
Irgendwie - Lilith sah nicht, wie es wirklich geschah - verfing sich der stürzende Körper der Nonne in den Glockenseilen. Sie schlangen sich um ihren Leib, um ihren Hals - - doch das Brechen ihres Genicks ging unter in dem dröhnenden Lärm, der den Glockenturm mit einemmal füllte und der so heftig war, daß er Lilith taumeln ließ.
Rebeccas Leichnam schwang tief unten auf und nieder, und sein Gewicht, das an den Seilen zerrte, ließ die Glocken in wahnsinniger Disharmonie läuten.
Lilith kauerte oben auf dem Sims.
Zum einen entsetzt über den sinnlosen Tod der Nonne.
Zum anderen erschrocken, weil sie ihre Ankunft nicht mit mehr Getöse hätte inszenieren können.
*
Wie eine Welle lief das Zucken durch die Versammlung.
Die Nonnen, die eben noch völlig verzückt auf das Kind und die Vampire gesehen hatten, wandten verwirrt die Blicke, als die Glo-cken zu dröhnen begannen, sahen einander an und schließlich in die Richtung des Glockenturms. Die Wand war dort in regelmäßigen Abständen durchbrochen, so daß man in den Glockenschacht hineinsehen konnte.
Mariah war es, die es als erste ausrief:
»Das ist Rebecca! Rebecca! Sie - sie wurde erhängt! Sie ist tot!«
Daß keine Spur von Entsetzen oder Trauer in ihren Worten war, bemerkte niemand.
Die anderen Schwestern fielen in die Rufe mit ein, doch auch ihr Schock hielt sich in Grenzen. Oder erstickte unter etwas, über das sie längst keine Kontrolle mehr hatten.
Das in sie gefahren war und jede Regung, die nicht dem Kind galt, verhinderte.
Langsam, und eher interessiert als von dem Wunsch getrieben, wirklich helfen zu wollen, wandten sich die Schwestern dem Glockenturm zu, während die Wände der Kapelle und der Boden zu ihren Füßen im Glockengeläut wie bei einem Erdbeben zitterte.
Selbst die Vampire schienen, allen Schmerzen und den sie umhüllenden Kokons zum Trotz, zu spüren, daß etwas nicht stimmte.
Nur eine Person in der Kapelle zeigte sich unbeeindruckt von den Geschehnissen.
Das Kind.
Es lag nach wie vor strahlend in seiner Wiege und blickte aus Augen, deren Ausdruck zunehmend wissender wurde, um sich. Doch was unsichtbar zwischen ihm und den Vampiren floß - - floß jetzt ein kleines bißchen schneller.
Denn mittlerweile reifte in ihm die Erkenntnis, daß die Zeit drängte.
*
Lilith war zu dem Loch im Dach zurückgekehrt und hatte sich am Rand niedergelassen.
Sie sah hinab und verstand noch immer nicht, was hier wirklich vorging.
Sie erkannte nur, daß sie mit ihrer Vermutung offenbar nicht völlig falsch gelegen hatte.
Die Vampire vergriffen sich tatsächlich unübersehbar an einem unschuldigen Baby! Lilith sah, daß irgendeine Verbindung zwischen dem Kind und den Blutsaugern bestand. Etwas floß, Lebensenergie vielleicht, und Lilith nahm an, daß die Vampire sich mit der im wahrsten Sinne des Wortes reinen Kraft des Kindes stärken wollten, nachdem Blut sie nicht mehr nährte.
Doch wie konnten sie glauben, daß die Kraft eines so winzigen Wesens für sie alle, für mehrere hundert Vampire, reichte?
Vielleicht hatten sie einen magischen Weg gefunden, sie zu potenzieren.
Aber das herauszufinden, dazu mochte später Zeit sein. Jetzt war es nur an der Zeit, zu handeln!
Und Lilith handelte.
Sie ließ sich einfach kopfüber durch das Loch fallen, verwandelte sich erst kurz vor dem Aufprall, nahm dem Sturz mit ihren Flügeln die ärgste Wucht und landete sicher dicht neben der Wiege.
Bevor irgend jemand auch nur im Ansatz verstand, was geschah, griff Lilith auch schon nach dem Kind, nahm es aus der Krippe und drückte es an sich.
Die flirrenden Stränge, die substanzlosen Verbindungen zwischen dem Kind und den Vampiren zerrissen. Erloschen.
Lilith war darauf vorbereitet gefaßt gewesen, daß die Blutsauger sich nun erheben würden, um sich, so gut es ihre ausgemergelten Körper noch zuließen, auf sie zu stürzen.
Doch das taten sie nicht.
Sie kamen ihr plötzlich vor wie Marionetten, die nur noch an einem einzelnen Faden gehangen hatten, den jetzt jemand gekappt hatte.
In einer seltsam synchronen Bewegung sackten die Vampire zu Boden, und sie hatten ihn kaum berührt, als auch schon der Zerfall einsetzte.
Der Gestank wurde, so das überhaupt möglich war, noch schlimmer, als ein paar hundert Vampire zugleich zu verwesen begannen, und was immer es war, das ihre zerbröckelnden Körper dabei verließ, es füllte die Kapelle fast sichtbar.
Dann war es vorbei.
Beinahe knöchelhoher Staub bedeckte den Boden. Ein
Weitere Kostenlose Bücher