Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Meer um sich herum und diese raue, aber doch so feinfühlige Mannschaft dabei. Sie hätte sich nichts Schöneres vorstellen können und sehnte sich keinesfalls in das kalte und winterliche Othmarschen zurück.
Carl hatte ihr einen Muff aus dem Fell eines jungen Seehunds geschenkt und zwei neue Bücher. Oft lasen sie sich abends gegenseitig etwas vor. Da er angefangen hatte, ihr das Schachspielen beizubringen, hatte er auch noch ein schönes Schachspiel aus Elfenbein erstanden. In die Füße der Figuren waren feine Nägel gebohrt und das Brett war aus einem weichen Holz, sodass sie auch bei hoher See spielen konnten, ohne dass die Figuren verrutschten.
Lily hatte Geschenke von der Mannschaft bekommen. Sie hatte ihr ein Mobile aus Walknochen geschnitzt, eine Rassel aus Seehundknochen und ein Bettchen hatte Palmer, der Zimmermann, ihr auch noch gebaut.
Von Carl bekam sie ein goldenes Kettchen. Doch da Lily inzwischen alles greifen und ziehen konnte, verwahrte Emilia die Kette lieber in ihrem Kästchen, als sie ihr umzuhängen. Das silberne Glöckchen jedoch hängte sie über ihr Schaukelbettchen, sehr zum Vergnügen des Kindes, das schon bald danach griff und schlug.
So verging das Weihnachtsfest 1857 auf dem vierundfünfzigsten Breitengrad. Bald schon wurde es wärmer und Emilia liebte es, mit Lily an Deck zu sein. Auf dem Mitteldeck pickten die Hühner zwischen den drei Schweinen. Die Sau war zum Entzücken aller wieder trächtig.
Auch Karamell lag mit ihren beiden Kleinen, die inzwischen die Augen geöffnet hatten und munter umhertapsten, gerne in der Sonne. Der Rüde war schwarz-braun und die Mannschaft hatte ihn »Cookie« getauft, nach den Schokoladenkeksen, die es in England gab. Das Weibchen hatte ein ganz feines und helles Fell, deshalb nannten sie sie »Lady«.
Außerdem hatten sie noch die Gänse, die allerdings bissen und deshalb in einem Gatter am Bug eingesperrt waren.
Es war ein munteres Treiben und Lily jauchzte schon bald, wenn sie nach oben kamen.
Manchmal nahm Carl sie mit ans Steuer und erklärte ihr, wo sie waren und was zu tun war.
Lily gluckste und strampelte vor Vergnügen, griff nach seinem Bart.
»Sie versteht alles«, sagte er voller Stolz. »Ein prächtiges Kind! Eine richtige Kapitänstochter! Bald schon wird sie selbst das Steuer halten können.«
Zwei Wochen nachdem sie die Falklandinseln passiert hatten und nördlichen Kurs einschlugen, gerieten sie in eine Flaute. Es war warm, aber nicht zu heiß. Emilia puckte Lily nicht mehr, sondern hatte die ersten Kleidchen für sie genäht. Gerne lag sie auf einer Decke auf dem Oberdeck, stützte sich hoch, um nach den Tieren zu schauen, drehte sich vom Rücken auf den Bauch und manchmal stemmte sie sich auch schon auf die Knie.
»Bald wird sie krabbeln«, sagte Emilia nachdenklich zu Carl. »Und dann laufen. Wir werden einen Boy brauchen.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber noch nicht auf dieser Fahrt. Erst mal kann sich Ferdinand um Lily kümmern. In die Wanten kann er doch nicht klettern und auch sonst ist er noch nicht für wahre Arbeit zu gebrauchen.«
»Ich bin schon froh, dass er überhaupt noch lebt und dass sein Bein nicht amputiert werden musste«, seufzte Emilia. »Das hätten wir doch gar nicht machen können.«
»In der Not hätten wir es machen müssen, aber ich hätte beigedreht und versucht, einen Hafen zu erreichen.«
Ferdinand lernte langsam, aber sicher, wieder zu laufen. Noch humpelte er stark, doch das Bein war gut und gerade verheilt.
»Das verdanke ich Euch, Gnädigste«, hatte er leise gesagt, als sie sein Bein untersuchte und befand, dass er es wieder belasten konnte. Zuvor hatte Palmer ihm Krücken geschnitzt, womit der Junge erstaunlich geschickt über das schwankende Deck hüpfte.
»Es ist eine gute Idee, Ferdinand als Boy zu nehmen. Er entwickeltsich hervorragend. Inzwischen kann er flüssig lesen und holt sich ein Buch nach dem anderen aus meiner Bibliothek«, sagte Emilia stolz.
»Auch das hätte er ohne deine Hilfe, deine Mühe und deinen Zuspruch nicht gelernt. Ich bin sehr froh, dass du an Bord bist.« Carl nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich. Das war das höchste der Gefühle, die er ihr an Deck zuteilwerden ließ, aber jedes Mal, wenn er es tat, ging ihr das Herz auf.
Der Januar ging vorüber und der Februar begann mit einer weiteren Flaute. Sie hatten nur wenig Fahrt machen können. Immer wieder verglich Carl die Daten, maß die Position und kontrollierte die Karten.
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