Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
würden vermutlich das Werk ihrer Väter fortführen.
Emilia wie auch Mathilda würden heiraten. Eine Liebesheirat, wie man sie aus der Literatur kannte, war das höchste Ideal. Die möglichen Partner, denen Emilia nun nach und nach vorgestellt wurde, gehörten natürlich ihren gesellschaftlichen Kreisen an. Eine Verbindung mit jemandem von einer anderen Werft oder Reederei würde ihr Onkel sicherlich befürworten. Aber an eine baldige Heirat mochte Emilia nicht denken. Im vorigen Jahr war die Hamburger Hochschule für Frauen wieder geschlossen worden, dabei hatte sie so gehofft, dort studieren zu können. Bildung war ein wertvolles Gut, das war ihr wohl bewusst.
Bücher hatten schon immer eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt, oft hatten Mutter oder Vater ihr vorgelesen, und als sie selbst die Buchstaben zu Wörtern und diese zu Sätzen zusammenfügen konnte, hatte sie ganz neue Welten für sich entdeckt.
Wie oft hatte sie, mit einem Buch in der Hand, Zuflucht gesucht, war ihrem begrenzten Alltag entflohen und eingetaucht in Sphären, die so ganz anders waren als ihr Leben.
Jetzt griff sie nach dem Brief, der noch ungeöffnet auf dem Tisch lag. Die Schrift darauf war sauber und ordentlich, schwungvoll.
»Liebes Fräulein Bregartner,
Ihr habt mich ›Lieber Kapitän Lessing‹ genannt und so nehme ich mir die Freiheit, Euch auch derart freundlich und vertraut anzusprechen.
Euer Brief, der mich gerade noch rechtzeitig erreichte, hat mich sehr erfreut. Und wie schön, dass Ihr mit dem alten Lotsen Erinnerungen austauschen konntet.
Bei Euren Eltern habe ich persönlich vorgesprochen und ihnen Eure Post gebracht. Eure Mutter bat mich hinein und kredenzte mir süße, heiße Schokolade und Gebäck – dabei war ich doch nur der Überbringer von Nachrichten. Sie sprach sehr freundlich von Euch und vermisst Euch wohl sehr.«
Emilia schüttelte den Kopf. Das konnte sie gar nicht glauben. Sie schätzte Lessing als einen Mann ein, der schon einige Lebenserfahrung hatte und sich nicht täuschen ließ. Entweder wollte er nur höflich sein, aber das würde sie ärgern, oder er hatte ihre Mutter verkannt. Denn warum sollte sie ihm gegenüber so tun, als ob? Das verstand Emilia nicht. Sie nahm den Brief wieder zur Hand.
»Unser Halt in Gravesend war nur von kurzer Dauer. Vor dem Kanal stehen die Schiffe seit Wochen und warten auf günstige Winde. Auch wir mussten durch den Kanal, um dann in Cardiff ein letztes Mal anzulegen, bevor es weitergeht bis nach St. Vincent und von dort aus gen Süden zum Kap.
Ich reihte mich also ein bei den Schiffen, die auf eine gute Passagehofften. Meine ›Ladung‹, die Glücksritter, hatte ich in Gravesend an Bord genommen. Sie betragen sich leidlich, auch wenn sie sich wohl erst noch an den Seegang gewöhnen müssen.
Zehn Tage lang kreuzen wir nun auf der Breite von Newcastle. Im Umkreis sammeln sich Fahrzeuge aller Art, die auf guten Wind hoffen. Das beständige Auf- und Abkreuzen zerrt an den Nerven aller, zumal wir auch in die Gründe kommen, wo Hunderte von Fischerbooten vor ihren Netzen liegen. Nachts sieht man, wie Glühwürmchen an einem lauen Augustabend, von allen Seiten ihre warnenden Lichter. In manch stürmischer Nacht denke ich an all die Normannen, die früher diese See befuhren. Manch einer ruht nun dort auf Grund.
Verzeiht meine abgehackte Schreibweise. Immer wieder werde ich unterbrochen und an Deck gerufen. Der Wind dreht, aber nicht lange genug, um die Segel zu setzen, kaum stehen sie, ist er auch schon wieder abgeflacht. Fünfzehn Tage sind nun vergangen, seit es in Gravesend hieß: »Leinen los!«
Sperlinge kamen an Bord, aber nicht für lange. Sie spreizten ihre Flügel und zogen nach Südwest davon. Wie gerne wäre ich ihnen gefolgt. Aber Sturm kam auf und wir mussten uns wieder in die Nordsee zurückziehen. Mir scheint es fast, als sollte ich noch in Eurer Nähe verharren. Dabei wäre mir eine schnelle Fahrt lieber, damit ich zügig nach Hamburg zurückkehren und mein eigenes Schiff in Empfang nehmen kann.
Jetzt hat der Wind endlich gedreht, der Segelmacher singt den Männern vor und mit schrägem Gesang ziehen sie das Groß-Marssegel auf. Der Wind geht nach Ost und endlich, endlich können wir in den Kanal einfahren.
Meine letzten Zeilen, bevor ich den Brief schließe, schreibe ich aus Cardiff.
Wir hatten in gut dreißig Stunden und mit flottem Wind den Kanal durchquert und den Atlantik erreicht, dann drehte der Wind erneut und wir standen vor dem Kanal
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