Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
von Bristol. Die Mannschaft wetterte, und auch mir war das Kreuzen inzwischen über, mochte ich doch meine Fahrt endlich angehen.
Das Schiff stampfte und schlingerte, die Glücksritter scheinen zu überlegen, ob sie dies noch wochenlang aushalten sollen. Noch konnten sie sich anders entschließen. Aber erst mussten wir den Hafen erreichen.
Nachts fuhren wir nach Norden, tags nach Süden. Das Wenden ist ein Spaß, wenn man es nicht täglich vollziehen muss und dabei seinem Ziel keinen Schritt näher kommt.
Es war zum Verrücktwerden, doch endlich drehte der Wind und wir schossen durch den Kanal, als wollte uns Poseidon persönlich zum Hafen tragen.
Eines möchte ich Euch, mein liebes Fräulein, noch berichten. Gegen Nachmittag war es, die See wie Blei und der Himmel grau, da klatschte es schwer neben dem Schiff – ein Wal. Es ist imposant, diese Tiere zu sehen. Ihre Fluken so groß wie Droschken, groß und schwarz der massige Körper neben dem Schiff. Er könnte uns wohl rammen, aber er tut es nicht, er taucht ab, die See scheint zu kochen. In einiger Entfernung dann kommt er wieder hoch, bläst, so, als wolle er uns noch ein Zeichen setzen. Zu gerne würde ich Euch dieses Schauspiel persönlich zeigen.
Nun muss ich schließen, der Lotse ist schon an Bord. Er geht von hier nach Calais, nimmt die Post mit aufs Festland. Über den Landweg wird Euch der Brief wohl eher erreichen als auf dem Seeweg, denn die Winterstürme stehen bevor und bald wird der Kanal nur noch mit Glück zu passieren sein.
Sendet, so Ihr denn schreiben wollt, die Briefe an die Reederei in St. Vincent oder Valparaiso. Auch ich werde Euch weiterhin schreiben. Wenn Ihr es nicht mögt, verbrennt meine Worte ungelesen. Sie sind nur Geplauder und keine Literatur.
Euer aufrichtiger Diener
Carl Gotthold Lessing«
Sie holte tief Luft. Dann legte sie den Brief zur Seite und ging zum Fenster, um es zu öffnen. Der Wind heulte in der Gasse, der Regen prasselte auf das Dach und das Pflaster der Straße. Sie schloss dieAugen und lauschte. Mit ganz viel Fantasie konnte sie sich einbilden, dass das Rauschen des Regens dem des Meeres entsprach. Sie war schon einmal bis in die Nordsee gesegelt, mit einem der Schiffe ihres Onkels. Aber nur die Elbe runter bis in die See und wieder zurück. Einen Tag hatte es gedauert, zur Nacht waren sie wieder im Hafen gewesen. Das musste schon acht Jahre her sein. Wie ein Schiff aussah, wie es gebaut wurde, davon wusste sie einiges, aber wie die Kajüten, die Kombüse, wie das Leben an Bord war, davon hatte sie wenig Ahnung.
Wie mochte es sich anhören, wenn plötzlich so ein gewaltiges Tier wie der Walfisch neben dem Boot platschte? Wie sahen Fliegende Fische aus, von denen sie gehört hatte? Wie schlief man an Bord, kochte dort, aß und lebte?
Plötzlich wollte sie all das wissen.
Von unten hörte sie Lachen und Abschiedsworte heraufklingen. Die kleine Gesellschaft hatte wohl ein Ende gefunden. Die Uhr auf ihrem Schreibtisch zeigte schon halb zwei an. Nur wenige Stunden, dann würde das Gesinde bereits wieder das Frühstück vorbereiten.
Das Feuer in ihrem Ofen war heruntergebrannt. Emilia schloss das Fenster, legte Holz nach und drehte die Lampe an ihrem Schreibtisch auf. Sie nahm Feder, Tinte und einen Bogen Papier. Sie wollte Lessing noch schreiben, jetzt sofort, auch wenn er den Brief erst Monate später erhalten würde.
»Mein lieber Kapitän Lessing,
gerade heute brachte die Post Eure Zeilen. Ich habe sie gelesen und bin noch ganz verzaubert. Ihr habt mich mitgenommen auf eine Reise, die ich nie machen werde. Leider, muss ich hier und jetzt sagen, denn Eure Worte machen mir Lust auf die große Fahrt. Zu gerne wäre ich mit Euch an Bord, würde das Singen des Segelmachers hören, das Ächzen der Mannschaft, wenn der Klüver dreht, und das Platschen der Walfischfluke neben dem Schiff. Ich schließe die Augen und versuche, es mir vorzustellen. Indes, es will mir nicht gelingen. Wie auch? Es sind Dinge, die ich nie erlebt, Geräusche, die ich noch nie gehört habe. Und gerade jetzt, hier, in diesem Moment, wünsche ich mirnichts sehnlicher, als eben dies zu tun. Auf einem Schiff zu stehen und auf große Fahrt zu gehen. Ein verwegener, nein, ein abwegiger Gedanke für ein Fräulein, so, wie ich es bin.
Ich habe von diesem Buch gehört, »Moby Dick«, und will es nun, nachdem Ihr mir über den Wal erzählt habt, unbedingt lesen. Darf ich Euch davon schreiben? Und auch die Werke Eures Oheims, die ich gelesen habe
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