Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
und die in meinem Regal stehen, will ich noch einmal hervornehmen und mir zu Gemüte führen. Darf ich Euch davon berichten?«
Emilia legte die Feder beiseite. Hatte diese Art der Korrespondenz einen Sinn? Lessing würde die Zeilen erst Monate später lesen, wenn überhaupt. Manche Briefe erreichten nie den Empfänger, manches Schiff nicht den Zielhafen. Und dennoch, sie verspürte den Wunsch, sich mit diesem Mann auszutauschen, ihm zu schreiben.
Aber würde er ihre Zeilen nicht für sehr naiv halten? Er stand seinen Leuten vor, war für sie, für ihr Leben, verantwortlich, für die Fracht und den Gewinn seiner Reederei. Er musste seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten, während sie in einem wohlig warmen Zimmer saß, über Bücher nachdachte und darüber, welche Schuhe sie am nächsten Tag anziehen sollte. Hatte sie irgendetwas mit diesem Menschen gemeinsam? Gab es eine Schnittmenge ihrer beider Leben? Aber ja doch, ihre Familie baute das Schiff, auf dem er segeln, seinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Zumindest das gab es. Vielleicht aber auch noch mehr. Sie fühlte sich ihm nahe und verbunden, ohne sagen zu können, weshalb.
Ich werde darüber schlafen, dachte sie, und morgen entscheiden, ob ich ihm schreibe oder nicht.
Sie löschte die Lampe, wusch sich flüchtig, putzte sich die Zähne mit reichlich Zahnpulver und huschte dann ins Bett. Bevor sie die Kerze ausgeblasen hatte, war Karamell, die vorher wie erschlagen auf dem Teppich vor dem Kamin gelegen hatte, zu ihr gesprungen. Der Hund drehte sich dreimal im Kreis und rollte sich dann, zufrieden seufzend, zu ihren Füßen nieder.
Karamell, dachte Emilia glücklich, ist mein Schatz. Ob man wohlHunde mit an Bord eines Schiffes nehmen kann? Ach, schalt sie sich, was für müßige Gedanken, du wirst nie auf große Fahrt gehen. Keine Frau geht auf die große Fahrt, zumindest niemand aus meiner Gesellschaftsschicht.
In dieser Nacht träumte sie von großem Meeresgetier, hohen Wellen und leuchtenden Sternen.
»Guten Morgen!« Jule zog die Vorhänge beiseite, doch es wurde nicht heller. Draußen tobte noch immer der Sturm.
Emilia kniff die Augen zusammen und drehte sich auf die Seite. »Mir ist nicht gut«, sagte sie schwach.
»Etwas Ernstes?«, fragte Jule fidel. Sie räumte das Geschirr zusammen, füllte den Krug mit frischem, dampfendem Wasser. Jeden Morgen trug sie die Wassereimer nach oben, füllte die Krüge in den Schlafzimmern und leerte das Nachtgeschirr in einen Eimer, den sie dann wieder nach unten trug.
»Mein Kopf schmerzt.« Emilia mochte kaum die Augen öffnen. Karamell stand vor ihrem Bett und jaulte leise.
»Komm, Kara«, rief Jule, »der Bursche nimmt dich mit zum Markt.«
Doch der Hund blieb vor dem Bett sitzen.
»Gnädiges Fräulein?«, fragte Jule unsicher. Meist entschuldigte sich Emilia mit Kopfschmerzen, wenn sie keine Lust auf irgendetwas hatte, doch diesmal stand kein Besuch an. »Geht es Euch wirklich nicht gut?«
»Mir ist übel«, brachte Emilia hervor.
Eilig stellte Jule ihr die Waschschüssel hin, gerade noch rechtzeitig. Emilia erbrach sich mit einem Schwall und sank dann erschöpft zurück.
»Gnädiges Fräulein?« Jule trat von einem Fuß auf den anderen. »Sollen wir den Arzt rufen?«
In Emilias Kopf hämmerte es, ihr Magen war flau. So krank hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Eigentlich, dachte sie, habe ich letzte Nacht doch gut geschlafen. Ein wenig warm war es gewesenund stickig, aber nur, weil ich noch Holz nachgelegt habe. Sie holte tief Luft, ihr war immer noch übel.
»Öffne das Fenster und lass Luft hinein.«
»Und der Arzt?«
Emilia winkte ab. Sie fühlte sich zwar schlecht, aber nicht schlecht genug für Doktor Schneider, den ihre Tante sicherlich rufen würde. Der Gedanke daran, dass er sie untersuchen würde, erfüllte sie mit Scham. »Es geht sicher gleich wieder.«
Jule nahm die Schüssel mit spitzen Fingern, leerte sie im Flur in den Exkrementeneimer und spülte sie mit heißem Wasser aus.
»Stell sie wieder hierher«, Emilia deutete schwach auf den Schemel neben ihrem Bett.
»Fräulein, ich sag der gnädigen Frau Bescheid, Ihr macht mir ja richtig Sorgen.« Jule raffte die Röcke und verließ eilig das Zimmer.
Emilia seufzte. Das Mädchen hatte das Fenster nicht geöffnet, immer noch war es stickig im Raum. Vorsichtig setzte sie sich auf. Die Hündin lag vor dem Bett und rührte sich nicht, schaute Emilia nur mit treuen Augen an.
»Mein Kopf«, stöhnte Emilia. Dann stand sie
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