Die Auswanderinnen (German Edition)
dass John am anderen Ende der Leitung sein könnte. Auf dem Weg zum Telefon holte sie schnell eine Tafel Schokolade aus dem Schrank. „Hallo?“, meldete sie sich.
„Johanna, ich bin’s, Eva.“
„Wer?“
„Eva. Eva, aus Sydney! Du weißt doch!“
Sie schwieg. Natürlich wusste sie, wer dran war. Eva, die biedere, brave Eva aus ihrer Vergangenheit.
„Meine Güte Johanna, ich bin ganz überrascht dich tatsächlich am Apparat zu haben. Ich hatte mich eigentlich auf eine lange Suche eingestellt. Dass du immer noch da wohnst? Ich kann es kaum fassen. Nur die Vorwahl ist jetzt anders. Ich dachte, ich versuche es einfach mal mit deiner alten Nummer, aber ich habe nicht geglaubt, dass du noch unter ihr zu erreichen bist.“
Jo Ann schwieg während sich Eva eine kurze Atempause gönnte.
„Ich habe vorhin schon mal angerufen. Da ging nur niemand ran, und da dachte ich mir, dass ich es einfach so oft versuche, bis irgendjemand abhebt und mir vielleicht sagen kann, wohin du gezogen bist.“
Schweigen.
„Bist du noch dran?“
„Natürlich.“
Eva zögerte. „Ah ja. Also, wie gesagt, ich habe nicht erwartet, dass du immer noch hier wohnst. Wie lange ist es jetzt her, seit wir das letzte Mal miteinander telefoniert haben? Das müssen doch schon an die fünfundzwanzig Jahre sein?“
„Eher dreißig.“
„Du lieber Himmel! So lange haben wir uns nicht mehr gesprochen?“ Eva schien ehrlich überrascht.
„Seit Nadja geboren wurde!“
Eva schwieg und Jo Ann konnte ein ganz leises Rauschen hören, wie aus weiter Ferne. „Wie geht es deiner Tochter?“
„Oh, sie lebt und arbeitet in Melbourne. Sie ist ja schon lange erwachsen. Kannst du dir das vorstellen? Es kommt mir immer noch komisch vor, so allein im Haus zu sein, nur Steve und ich. Aber sie kommt so oft es geht von Melbourne rauf...“
„Steve?“
„Ach du meine Güte“, plapperte Eva weiter, „das weißt du ja noch gar nicht. Wie solltest du auch. Uwe und ich haben uns getrennt. Schon lange, schon bald nach Nadjas Geburt. Warte mal, ich glaube da war sie erst drei oder vier Jahre alt. Es war abzusehen, dass es nicht länger gut mit uns gehen würde. Ich wollte danach eigentlich zurück nach Deutschland, mit Nadja, habe dann aber Steve kennengelernt. Er ist Australier, weißt du. Wenn mir das einer gesagt hätte, dass ich einen Australier heirate und hierbleibe ...“
„Ihr seid verheiratet?“
„Natürlich! Schon lange. Wir haben uns schon kurz nach meiner Scheidung kennengelernt und wussten sofort, dass es funktioniert mit uns beiden, ja, und da haben wir auch gleich geheiratet. Ich bin sehr glücklich mit ihm, Johanna.“
„Jo Ann!“
„Wie bitte?“
Jo Ann erklärte ihr, dass sie es inzwischen gewohnt war, mit Jo Ann angesprochen zu werden. Und dass ihr das lieber sei. Sie habe auch bereits Mühe, deutsch zu sprechen, so lange habe sie sich nicht mehr in ihrer Muttersprache unterhalten.
„Na gut, wenn dir das lieber ist“, meinte Eva etwas verständnislos. „Aber ich kann dir nicht garantieren, dass ich mich daran gewöhnen werde. Wir müssen uns treffen, Johanna. Ich meine, Jo Ann. Dringend! Sobald es geht.“ Evas Ton veränderte sich abrupt, sie plauderte plötzlich nicht mehr wie bei einem Kaffeeklatsch, sondern klang wie eine Geschäftsfrau, die einen Termin festlegen will.
„Warum denn?“, fragte Jo Ann.
„Isabella kommt.“
„Wann?“ Nun lag doch so etwas wie Interesse in Jo Anns Stimme.
„Sie will ihren nächsten Urlaub, während die Commonwealth Games stattfinden, hier verbringen – obwohl sie ja früher nie sehr sportbegeistert war. Sie hat anscheinend erst jetzt Interesse dafür entwickelt, nachdem sie... na ja, das ist jetzt nicht wichtig – und sie hat mich gebeten, nach den Spielen ein Treffen von uns dreien zu organisieren.“
Schweigen.
„Was hältst du davon?“
Jo Ann dachte nach. „Ich weiß nicht“, meinte sie endlich. „Ich weiß es wirklich nicht.“
„Vielleicht sollten wir beide uns erst mal treffen, ehe sie ankommt? Ich muss doch wissen, was ich ihr sagen soll. Wie ich mich verhalten soll. Mein Gott, ich bin so durcheinander! Isabella wird bei uns wohnen, Steve fand es auch richtig, dass ich sie einlade. Ich finde, das bin ich ihr schuldig. Sie freut sich so auf ihren Urlaub. Weißt du, wir sind noch lange miteinander in Verbindung geblieben. Sie hat immer mal wieder angerufen ...“
Jo Ann unterbrach sie und versuchte Zeit zu gewinnen. „Ja, ja, das dachte ich mir schon. Trotzdem
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