Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
beobachtet hatte, ich hatte Umzüge dieser Art niemals leiden mögen, und auch die Musik solcher Kapellen hatte mich immer mehr belästigt und verletzt, als daß sie mich anziehen hätte können, wie ich ja zeitlebens immer ein Feind von allen Arten von Umzügen und Aufmärschen gewesen bin. Meinen Geschwistern zuliebe, wahrscheinlich, weil ihnen der Wunsch, diese unten vorbeiziehenden Musikkapellen zu sehen, ganz einfach erfüllt werden mußte, waren wir auf den Balkon hinausgetreten und hatten hinuntergeschaut, mich erinnerte der Aufmarsch dieser Musikkapellen, dieser Hunderte von Männern in ihren als Tracht ausgegebenen Uniformen, die stumpfsinnig und wie wild auf ihre Schlaginstrumente einschlugen und die ebenso stumpfsinnig und wie wild in ihre Blasinstrumente hineinbliesen, sofort an den vergangenen Krieg, ich hatte schon immer alles Militärische gehaßt, also mußte ich von diesem österlichen Vorbeimarsch naturgemäß abgestoßen gewesen sein, und gerade solche protzigen Umzüge auf dem Land hatte ich immer zutiefst verabscheut. Im Volk sind aber diese Umzüge wie nichts anderes beliebt, und es drängt sich in Scharen zu diesen Umzügen, es ist immer und zu allen Zeiten vom Militärischen und von der militärischen Brutalität angezogen gewesen, und die Perversität auf diesem Gebiet ist in den Alpenländern, wo schon immer der Stumpfsinn als Unterhaltung, ja als Kunst ausgegeben worden ist, die größte. Kaum war die letzte dieser Musikkapellen vorübergewesen und die Neugierde meiner Geschwister befriedigt, hatte mich meine Mutter ins Vertrauen gezogen und mir Mitteilung gemacht von einer schon
in den nächsten Tagen
an ihr vorzunehmenden Operation. Sie sei gezwungen,
schon morgen
das Krankenhaus aufzusuchen, der Termin sei unaufschiebbar,
sie selbst
hatte von einer
Krebs
erkrankung gesprochen. Das Osterfest war abgebrochen, Mutter und Geschwister waren schon kurz nach dem Musikkapellen- und Trachtenumzug nach Salzburg zurückgefahren und hatten mich in einem Zustand tiefer Niedergeschlagenheit zurückgelassen. Als ich nach Hause kam, in eine, wie ich mich erinnere, kalte und menschenleere und total verwahrloste Wohnung, in welcher an allen Ecken und Enden die über uns alle hereingebrochene Katastrophe zu sehen gewesen war, hatte meine Mutter ihre Operation längst hinter sich. Von ihrer Krankheit war sie schon zwei Wochen, bevor sie mich darüber aufgeklärt hatte, in Kenntnis gesetzt worden, sie hatte mich also mehrere Male in Großgmain aufgesucht, ohne den Mut gehabt zu haben, mir diese Wahrheit zu sagen. Als ich nach Hause kam, mit dem Autobus, waren die Meinigen im Krankenhaus bei meiner Mutter. Ich selbst hatte aus Großgmain eine weitere unerfreuliche Nachricht mitgebracht, mit welcher ich die Meinigen aber nicht gleich hatte konfrontieren wollen: meine Lunge war am Ende meines Großgmainer Aufenthaltes doch angegriffen, der Röntgenologe hatte ein sogenanntes Infiltrat auf dem rechten unteren Lungenflügel entdeckt, und seine Entdeckung war von dem Großgmainer Internisten bestätigt worden. Die Befürchtung hatte sich bewahrheitet, in Großgmain
war
ich aufeinmal lungenkrank. Noch am Tag der Entlassung aus Großgmain habe ich meine Mutter im Landeskrankenhaus aufgesucht. Sie hatte die Operation gut überstanden. Aber der Arzt hatte uns keinerlei Hoffnung gemacht. Tagelang bin ich zuerst im Großvaterzimmer gesessen und dann in der Stadt hin und her gegangen, wie sich denken läßt, in der größten Verzweiflung. Ich hatte niemanden sehen wollen, also hatte ich niemanden aufgesucht. Zwei Wochen nach meiner Entlassung aus Großgmain hatte mir die Krankenkasse einen sogenannten
Einweisungsschein in die Lungenheilstätte Grafenhof
zugeschickt. Mit der an diesen Einweisungsschein gehefteten Fahrkarte hatte ich meine Reise antreten können.
Die Kälte
Eine Isolation
Jede Krankheit kann man
Seelenkrankheit nennen.
Novalis
Mit dem sogenannten Schatten auf meiner Lunge war auch wieder ein Schatten auf meine Existenz gefallen.
Grafenhof
war ein Schreckenswort, in ihm herrschten absolut und in völliger Immunität der Primarius und dessen Assistent und dessen Assistent und die für einen jungen Menschen wie mich entsetzlichen Zustände einer öffentlichen Lungenheilstätte. Hilfe suchend, bin ich doch hier mit nichts als mit Hoffnungslosigkeit konfrontiert gewesen, das hatten schon die ersten Augenblicke, ersten Stunden, noch unerhörter die ersten Tage gezeigt. Die Lage der Patienten verbesserte sich
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