Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Verkühlung, aber ich produzierte nicht die kleinste Sputummenge. Aber hatte ich nicht den hohen ärztlichen Befehl erhalten, Sputum zu produzieren? Das Labor wartete auf mein Sputum, alles in Grafenhof schien auf mein Sputum zu warten, aber ich hatte keines; schließlich hatte ich den Willen, Sputum zu produzieren, nichts als diesen Willen, und ich versuchte mich in der Kunst des Spuckens, indem ich alle Arten von Auswurferzeugung neben und hinter und vor mir studierte und selbst probierte, aber ich produzierte nichts außer immer größere Halsschmerzen, mein ganzer Brustkorb schien entzündet. In Anbetracht meiner leeren Spuckflasche hatte ich das bedrückende Gefühl,
versagen zu müssen
, und ich steigerte mich mehr und mehr in einen absoluten Auswurfswillen, in eine Auswurfshysterie hinein. Meine kläglichen Versuche, Auswurf zu produzieren, waren nicht unbeobachtet geblieben, im Gegenteil hatte ich den Eindruck, daß die ganze Aufmerksamkeit aller Patienten auf diese meine Versuche, Auswurf erzeugen zu können, gerichtet war. Je mehr ich mich in meine Auswurfshysterie hineinsteigerte, desto verschärfter war die Beobachtungsstrafe meiner Mitpatienten, sie straften mich unaufhörlich mit ihren Blicken und mit umso größerer Auswurfskunst, indem sie mir von allen Ecken und Enden aus zeigten,
wie
man spuckt,
wie
die Lungenflügel gereizt werden, um ihnen den Auswurf zu entziehen, als spielten sie schon jahrelang auf einem Instrument, das ihr ureigenes geworden war im Laufe der Zeit, auf ihrer Lunge, sie spielten auf ihren Lungenflügeln wie auf Saiteninstrumenten mit einer Virtuosität ohnegleichen. Hier hatte ich keine Chance, das Orchester war in beschämender Weise aufeinander eingestimmt, sie hatten ihre Meisterschaft schon so weit getrieben, daß es unsinnig gewesen war, zu glauben, mitspielen zu können, ich konnte an meinen Lungenflügeln zerren und zupfen, wie ich wollte, ihre teuflischen Blicke, ihr perfider Argwohn, ihr schadenfrohes Gelächter zeigten mir unaufhörlich meinen Dilettantismus, mein Unvermögen, meine unwürdige Nichtkunst. Die Meister in ihrem Fache hatten drei bis vier Flaschen Auswurf neben sich, meine Flasche war leer, ich schraubte sie immer wieder verzweifelt auf und enttäuscht wieder zu. Aber
ich mußte spucken
! Alle forderten es von mir. Schließlich wendete ich Gewalt an, erzeugte längere intensive Hustenanfälle, immer mehr Hustenanfälle, bis ich schließlich in der künstlichen Erzeugung von Hustenanfällen Meisterschaft erlangt hatte und spuckte. Ich spuckte in die Flasche und eilte damit ins Labor. Es war unbrauchbar. Nach drei, vier weiteren Tagen hatte ich meine Lunge so gequält, daß ich tatsächlich brauchbaren Auswurf aus meiner Lunge heraushustete, nach und nach füllte ich meine Flasche bis zur Hälfte. Ich war noch immer ein Dilettant, aber ich gab Anlaß zu Hoffnungen, mein Flascheninhalt war angenommen, wenn er auch vorher noch mit Mißtrauen betrachtet gegen das Licht gehalten worden war. Ich war lungenkrank, also hatte ich auszuspucken! Aber ich war nicht
positiv
, ich durfte mich nicht als vollwertiges Mitglied dieser Verschwörung fühlen. Die Verachtung traf mich zutiefst. Alle waren ansteckend, also positiv, ich nicht. Wieder und dann jeden zweiten Tag wurde von mir Sputum verlangt, ich hatte schon Routine, die Lungenflügel hatten sich an das Martyrium gewöhnt, ich produzierte jetzt schon mit Sicherheit Sputum, die halbe Flasche am Vormittag, die halbe am Nachmittag, das Labor war zufrieden. Aber ich war immer
negativ
. Zuerst waren, schien mir, nur die Ärzte enttäuscht, schließlich ich selbst. Etwas stimmte nicht! Hatte ich nicht zu sein wie alle andern?
Positiv
? Nach fünf Wochen war es soweit, der Befund war:
positiv
. Ich
war
plötzlich Vollmitglied der Gemeinschaft. Meine offene Lungentuberkulose war bestätigt. Zufriedenheit unter den Mitpatienten breitete sich aus, auch ich war zufrieden. Die Perversität dieses Zustands war mir gar nicht zu Bewußtsein gekommen. Genugtuung stand auf den Gesichtern, die Ärzte hatten sich beruhigt. Jetzt würden die geeigneten Maßnahmen ergriffen. Keine Operation natürlich, eine Medikamentenbehandlung. Vielleicht auch sofort ein Pneu. Oder eine Kaustik. Alle Möglichkeiten waren in Betracht gezogen. Eine Plastik erforderte mein Zustand nicht, ich mußte nicht fürchten, sämtliche Rippen meines rechten Brustkorbs abgestemmt und den ganzen Lungenflügel herausgeschnitten zu bekommen. Zuerst wird ein Pneu
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