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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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mit meinen Büchern und die ausgedehnten Expeditionen in die weiten, zu einem Großteil noch unentdeckten Erdteile meiner Phantasie hatten mir genügt. Kaum war ich aufgewacht und hatte wie seit Monaten jeden Morgen die Vorschrift, meine Temperatur zu messen, gewissenhaft erfüllt gehabt, war ich auch schon mit meinen Büchern, meinen engsten und innigsten Freunden, zusammen gewesen. In Großgmain war ich erst auf das Lesen gekommen, plötzlich und für mein weiteres Leben entscheidend. Diese Entdeckung, daß die Literatur die mathematische Lösung des Lebens und in jedem Augenblick auch der eigenen Existenz bewirken kann, wenn sie als Mathematik in Gang gesetzt und betrieben wird, also mit der Zeit als eine
höhere
, schließlich die
höchste mathematische Kunst
, die wir erst dann, wenn wir sie ganz beherrschen, als
Lesen
bezeichnen können, hatte ich erst nach dem Tod des Großvaters machen können, diesen Gedanken und diese Erkenntnis verdankte ich seinem Tod. Die Tage hatte ich mir also lehrreich und nützlich gemacht, sie waren auch schneller vergangen. Mit dem Lesen habe ich die auch hier jederzeit offenen Abgründe überbrückt, mich aus den nur auf Zerstörung hin angelegten Stimmungen retten können. An den Sonntagen hatte ich Besuch und war dann in Gesellschaft jener Menschen, die meine Heimkehr und meine Gesundheit ebenso erwarteten wie befürchteten, denn diese Heimkehr mußte, so hatten sie naturgemäß denken müssen, zu einer neuerlichen Katastrophe in ihrer durch die Ereignisse und Geschehnisse der letzten Monate vollkommen zerstörten Existenz führen. Es war für sie selbstverständlich gewesen, daß ich meine ganze Aufmerksamkeit jetzt mehr dem Kaufmann in mir und nicht dem Sänger, also auf alle Fälle dem Kaufmannsberuf und nicht der Musik zuzuwenden hätte, und sie versuchten ununterbrochen während ihrer Großgmainer Besuche, direkt oder indirekt, mich auf den Kaufmann
zu
- und von dem Sänger
ab
- zulenken, es muß ihnen naturgemäß eine Selbstverständlichkeit gewesen sein, daß mit meiner Lunge eine Sängerkarriere ausgeschlossen gewesen war, so setzten sie jetzt wieder alles auf meine kaufmännischen Talente und auf die, wie sie immer geglaubt hatten, größeren und einträglicheren Möglichkeiten des Kaufmanns. So bald als möglich, gleich, wenn ich von Großgmain nach Hause gekommen und also wieder gesund sei, so hatte ich es immer wieder gehört, solle ich zu der sogenannten Kaufmannsgehilfenprüfung antreten, für welche ich ja längst zugelassen sei, und die Lehre ordnungsgemäß abschließen. Ist diese seine Lehre abgeschlossen, sind wir erleichtert, hatten sie denken dürfen, und es waren ihnen die Versuche, mich jetzt pausenlos zum Kaufmannsberuf zu drängen, nicht übel zu nehmen. Doch ich selbst hatte an dem Kaufmannsberuf keinerlei Interesse mehr, ich war bereit gewesen, die Kaufmannsgehilfenprüfung zu absolvieren, aber nichts weiter. Ich war bereit, meine Arbeit beim Podlaha wieder aufzunehmen, aber ich hatte nicht im entferntesten mehr daran gedacht, Kaufmann zu werden, das hatte ich im Grunde niemals gedacht, das war niemals ein ernsthafter Gedanke in mir gewesen, denn daß ich aus dem Gymnasium gelaufen war und dann jahrelang dem Podlaha als Lehrling gedient hatte, war ja nicht und niemals dem Gedanken entsprungen gewesen, Kaufmann werden zu wollen, dazu hätte ich einen ganz anderen Weg einzuschlagen gehabt, meine Aktion, meine Revolution hatten die Meinigen gründlich mißverstanden, sie klammerten sich natürlich jetzt an die Tatsache, daß ich beim Podlaha Lehrling gewesen war. Die Entdeckung, daß sie ihr Mißverständnis noch nicht zurückgezogen hatten, im Gegenteil, daß sie es jetzt auch noch, wie mir schien, schamlos ausnützten, hatte mich abgestoßen. Das Problem, was, wenn ich wieder gesund sei, aus mir werden sollte und also was aus mir würde, war, von mir aus gesehen, überhaupt nicht
ihr
Problem, sondern ausschließlich
mein
Problem. Ich hatte überhaupt nichts werden und natürlich niemals ein Beruf werden wollen, ich hatte immer nur
ich
werden wollen. Das hätten sie aber, gerade in dieser Einfachheit und gleichzeitigen Brutalität, nie verstanden. Zu Ostern war meine Mutter mit meinen Geschwistern gekommen, die letzten Großgmainer Tage waren angebrochen. Ich erinnere mich, daß ich von einem im ersten Stock des Vötterl gelegenen Balkon aus gemeinsam mit meiner Mutter und meinen Geschwistern mehrere unter diesem Balkon vorbeiziehende Musikkapellen

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