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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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mich am Leben, macht mich existenzmöglich. Mein Großvater hatte immer die Wahrheit gesagt
und
total geirrt, wie ich, wie alle. Wir sind im Irrtum, wenn wir glauben, in Wahrheit zu sein, und umgekehrt. Die Absurdität ist der einzig mögliche Weg. Ich kannte diesen Weg, die Straße, auf welcher es weitergeht. Auf dem Baumstumpf sitzend, hatte ich mein Vergnügen, die Rechnung, die mein Großvater aufgestellt hatte, nachzuprüfen, die untereinandergeschriebenen Zahlen zusammenzuzählen, ich machte es wie der Kaufmannslehrling im Geschäft, mit der gleichen Präzision, mit der gleichen Rücksichtslosigkeit gegen den Einkäufer. Wir gehen in das Geschäft des Lebens und kaufen ein, und die Rechnung müssen wir bezahlen. Hier irrt der Verkäufer
nicht
. Alles inzwischen Zusammengezählte stimmt, es ist immer der einzig richtige Preis. Auf dem Baumstumpf sitzend, fragte ich mich nach meiner Herkunft und ob es mich überhaupt zu interessieren hat, woraus ich entstanden bin, ob ich die Aufdeckung wage oder nicht, die Unverfrorenheit habe oder nicht, mich zu erforschen von Grund auf. Ich hatte es nie getan, es war mir immer verwehrt gewesen, ich selbst hatte mich geweigert, Schicht um Schicht abzubauen,
dahinterzukommen
, ich fühlte mich nie dazu imstande, zu schwach, zugleich unfähig, und was hatte ich in der Hand und im Kopf für diese Expedition, außer Verschwommenes, Verwischtes, unmutig Angedeutetes? War ich jetzt in der Verfassung, mich preiszugeben, vor mir selbst?, das zu tun, das ich mich niemals unter den Augen der Meinigen, geschweige denn meiner Mutter getraut hatte, die Herkunft wenigstens meines Vaters zu eruieren? Ich weiß bis heute nichts von ihm, außer, daß er mit meiner Mutter in die gleiche erste Volksschulklasse gegangen ist und mit dreiundvierzig Jahren, nachdem er sich in Deutschland verheiratet und dann auch noch fünf Kinder gemacht hatte, in Frankfurt an der Oder umgekommen ist, wie, ist mir unbekannt, die einen sagten, er sei erschlagen worden, die andern, erschossen, von wem, von welcher Seite neunzehnhundertdreiundvierzig, ist
mir
nicht bekannt. Mit dieser Ungewißheit zu leben, bin ich inzwischen gewohnt, den menschlichen wie auch den politischen Nebel zu durchstoßen, dazu hatte ich nie den Mut gehabt, meine Mutter hatte es abgelehnt, auch nur ein Wort über meinen Vater zu sagen, warum, weiß ich nicht, ich bin nur auf Vermutungen angewiesen, alles, was meinen Vater betrifft, sind Vermutungen geblieben, ich fragte mich oft, weil er ja doch mein Vater gewesen ist,
wer war mein Vater?
Aber ich selbst konnte mir keine Antwort geben, und die anderen waren dazu nicht bereit. Wie groß muß das Verbrechen oder müssen die Verbrechen meines leiblichen Vaters gewesen sein, daß ich in meiner Familie, ja selbst bei meinem Großvater, seinen Namen nicht erwähnen durfte, das Wort
Alois
auszusprechen, war mir nicht erlaubt gewesen. Es sind schon wieder acht Jahre her, da hatte ich eine Schulfreundin meines Vaters ausgemacht, die auch mit meiner Mutter in die Volksschule gegangen war, die meinen Vater kannte, sehr gut kannte, wie ich jetzt weiß, und ich hatte den Mut gehabt, mit ihr einen Zeitpunkt auszumachen, zu welchem sie bereit gewesen war, über meinen Vater zu reden. Aber einen Tag vor dem Treffen entdeckte ich in der Zeitung ein schreckliches Bild: zwei geköpfte Leichen auf einer Einfahrtsstraße nach Salzburg; die Schulkameradin meiner Mutter, die einzige, die mir über meinen Vater Auskunft hätte geben können, war tödlich verunglückt. Ich hatte mit diesem Schreckensbild in der Zeitung die Gewißheit: ich darf nicht mehr nach meinem Vater fragen. Er war ein Landwirtssohn und hatte das Tischlerhandwerk erlernt, die Briefe, die er an meine Mutter geschrieben hat, sollen voller Lügen gewesen sein. Er hatte mich nicht anerkannt, er weigerte sich, auch nur einen Schilling für mich zu zahlen. Ich sehe mich in das Rathaus von Traunstein gehen an der Hand meiner Mutter mit sieben, acht Jahren, damit mir eine Blutprobe abgenommen hatte werden können, Beweis für die Vaterschaft des
Alois Zuckerstätter
, meines Vaters. Die Blutprobe bestätigte die Vaterschaft, aber mein Vater war unauffindbar und hatte für mich nichts gezahlt. Die Rache meiner Mutter bestand sehr oft darin,
mich
auf das Rathaus zu schicken, um mir selbst die fünf Mark abzuholen, die der Staat für mich im Monat (!) bezahlte, sie hatte sich nicht gescheut, mich direkt in die Hölle zu schicken als Kind mit der

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