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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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meinem Leben tilgten? Die Frage bleibt offen, ihre Schuld bestehen, ebenso bleiben meine Vermutungen, bleibt mein Argwohn, alles in allem ein ständiges, sehr oft auch inständiges Anklagebedürfnis gegen die Meinigen. Aber jetzt sind sie alle tot, und es ist zwecklos, sie zur Rechenschaft zu ziehen, die Geister zu verurteilen und in den Kerker zu stecken ist absurd, lächerlich, klein und niedrig. Also, ich lasse sie in Ruhe. Aber ich ziehe immer wieder alle ihre Saiten auf, damit ich es hören kann, das ganze Familieninstrument, wie richtig und wie falsch immer ich darauf spiele. Sie verdienen es, daß ich ihre Saiten nicht schone, aber die voller Mißton sind, reizen mich immer mehr als die anderen, und sie sind mir, in aller Offenheit zugegeben, in jedem Fall lieber. Im Schlafsaal, in meinem Bett neben der Tür und bis zum Kinn herauf zugedeckt, unter den schlafenden und nicht, wie ich, wachen Patienten, sah ich mich bei meinen Versuchen, das Dickicht meiner Herkunft aus dem Weg zu räumen, aber sie nützte nichts, die pausenlose Anstrengung, je tiefer ich in das Gestrüpp hineinging, desto mehr vergrößerte sich die Finsternis und mit ihr die Wildnis, desto größeren Verletzungsmöglichkeiten war ich ausgeliefert, auf die hilflose Weise, wie sie mir schon aus der frühesten Kindheit bekannt ist. Ich wollte mich aber von meinen nutzlosen Versuchen, mit allen mir möglichen Mitteln Licht in das Dunkel und in die Finsternis zu zwingen, nicht abbringen lassen, auch wenn ich den Alptraum schon kannte. Woher war
eigentlich
mein Großvater? Woher war
eigentlich
meine Großmutter? Väterlicherseits! Mütterlicherseits! Woher waren sie alle, die mich auf ihrem Gewissen hatten, von welchen ich Aufklärung forderte. Wenn ich sie anrief, waren sie weg, Gespenstern gleich. Ich versuchte sie an allen möglichen Ecken abzupassen, ihnen den Weg abzuschneiden, aber sie waren schneller, geschickter, ganz einfach schlauer und waren auch schon entkommen, wenn ich sie zu fassen glaubte. Sie hörten auf ihre Namen nicht, sie verstanden nicht, wovon ich redete, wenn ich zu ihnen redete, sie sprachen dann eine ganz andere, mir unverständliche Sprache. Ich war einfältig genug gewesen zu glauben, ich hätte von jedem einzelnen von ihnen eine Geschichte zu erwarten, die ich dann in meinem eigenen Kopfe zu meiner Geschichte hätte zusammenkitten können, das war der Irrtum. Daß ich sie nur anzurufen brauchte, wo ich ihrer auch habhaft werden, sie stellen konnte, um Auskunft zu haben, auf der Stelle die Wahrheit zu hören. Meine Einfältigkeit war so weit gegangen, daß ich meine Fragen glaubte als Fragen eines Gerichts an sie stellen zu können, um Klarheit als Antwort zu erhalten, ausnahmslos, ohne Widerrede, während ich zwar immerfort fragte, aber überhaupt keine Antwort bekommen hatte, und wenn Antwort, so die unbefriedigende, die glatte, unverfrorene Lüge. Ich bildete mir ein, ein Recht auf alle meine Fragen zu haben und also auch das gleiche Recht auf die entsprechenden Antworten, so fragte ich immer wieder, rührend und ahnungslos, und war immer nur zutiefst enttäuscht über das Echo. Hatte ich, so dachte ich hier in meinem Bett, wenigstens die, mit welchen ich tatsächlich gelebt hatte eine Zeitlang, wie lang immer, genug befragt? Die Antwort war nein, ich habe sie nicht genug befragt, ich hatte mir diese Fragen immer wieder aufgehoben auf später, sie weggeschoben, so lange aufgehoben und weggeschoben, bis es dann endlich zu spät gewesen war. Ich hätte so vieles fragen müssen, nicht sollen, meinen Großvater, meine Großmutter, meine Mutter, was ich alles nicht gefragt habe, jetzt ist es zu spät, wenn wir die Gestorbenen fragen, die Toten, ist es nichts als die verbrecherische Nutzlosigkeit des Überlebenden, der ständig auf Absicherung seiner Verhältnisse aus ist. Ich habe die längste Zeit gehabt, Fragen zu stellen, und ich habe sie nicht gestellt, nicht einmal die wichtigsten Fragen, dachte ich. Plötzlich war mir klar: sie verhinderten diese Fragen, sie erwarteten sie und fürchteten sie und hatten alles getan, um nicht gefragt zu werden. Es war ihnen gelungen, schließlich und endlich aus der Welt hinauszugehen, ohne mir antworten zu müssen. Sie hatten mir ein Dickicht, eine Wüste zurückgelassen, eine Steppe, in welcher ich alle Aussicht hatte, verhungern und verdursten zu müssen, vernichtet zu werden. Sie hatten alle Antworten parat gehabt, aber sie gaben sie nicht, sie waren dazu nicht gewillt,

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