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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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meistens nur
grau
und
scheußlich
gesagt.
Was für entsetzliche Straßen, was für entsetzliche Menschen
. Obwohl er, wie alle Geistesmenschen, ein Stadtmensch war, geworden war. Er war einmal lungenkrank gewesen, das mag auch den Ausschlag gegeben haben für den Entschluß, aus Wien wegzugehen nach Seekirchen. Schon mit fünfundzwanzig war er mit meiner Großmutter auf Anraten der Ärzte ein Jahr in Meran gewesen. Dort heilte er sich vollkommen aus. Ein Wunder, denn er spuckte monatelang Blut und hatte ein großes Loch in der Lunge, und ich weiß, was das heißt. Die Disziplin heilte mich, so er. In Meran hatte meine Großmutter, um den Aufenthalt überhaupt zu ermöglichen, bei der Familie eines englischen Urwaldforschers gearbeitet, der die meiste Zeit des Jahres in Kenia lebte und, so meine Großmutter, nur zweimal im Jahr mit Panther- und Löwenhäuten nach Meran nachhause gekommen ist. Die Frau des Urwaldforschers, der in der schönsten Gegend von Obermais eine herrschaftliche, schloßähnliche Villa besaß, ließ meine Großmutter den Hebammenberuf erlernen. Das sollte sich für ihr weiteres Leben bezahlt machen. Mein Großvater setzte sich auf einen Baumstumpf und sagte: Dort, die Kirche! Was wäre dieser Ort ohne die Kirche. Oder: Da, dieser Sumpf! Was wäre diese Öde ohne diesen Sumpf. Stundenlang saßen wir vor allem am Ufer der Fischach, die aus dem Wallersee Richtung Salzach fließt, in vollkommenem Einverständnis. Etwas Großes im Auge haben, war seine fortwährende Mahnung, das Höchste! Immer das Höchste im Auge haben! Aber was war das Höchste? Wenn wir uns umsehen, umgibt uns nur die Lächerlichkeit und die Erbärmlichkeit. Dieser Lächerlichkeit und dieser Erbärmlichkeit gilt es zu entkommen. Das Höchste im Auge haben! Ich hatte von da an immer das Höchste vor Augen. Aber ich wußte nicht, was das Höchste war. Wußte er es? Die Spaziergänge mit ihm waren fortwährend nichts anderes als Naturgeschichte, Philosophie, Mathematik, Geometrie, Belehrung, die glücklich machte. Ein Jammer, sagte er, daß wir mit allem, was wir wissen, nicht weiterkommen. Das Leben sei eine Tragödie, bestenfalls könnten wir sie zur Komödie machen. Mit dem Hippinger Hansi verband mich eine innige Freundschaft. Er war so alt wie ich, mein Großvater bestätigte ihm eine hohe Intelligenz und prophezeite ihm einen geistigen Werdegang. Er hat geirrt, Hansi hatte schließlich den Hof übernehmen und seine Ambitionen auf den Geist begraben müssen. Wenn ich ihn heute besuche, schütteln wir uns die Hände und haben uns nichts zu sagen. Die Erinnerung zeigt aber, daß wir mehrere Jahre unseres Lebens, nicht die unwichtigsten, vielleicht sogar die entscheidenden, ein Herz und eine Seele gewesen sind, wie gesagt wird. Eine Verschwörung wider die Umwelt, die uns als schön genauso wie als böse bekannt war. Wir hüteten die strengsten Geheimnisse, wir machten die ungeheuerlichsten Pläne. Wir waren fortwährend auf die Abenteuer aus, die in unseren Träumen Verwirklichung beanspruchten. Wir erfanden uns eine Welt, die mit der Welt, die uns umgab, nichts zu tun hatte. Wir hockten im Heu und berichteten einander von unseren äußeren Zweifeln und inneren Ängsten. Wir arbeiteten um die Wette, auf dem Feld, im Pferdestall, im Kuhstall, bei den Schweinen und unter den Hühnern, und wir brachten auf einem sogenannten Einspänner schon mit fünf Jahren die Milch in die Molkerei. Mit der Milch fuhren wir hinunter, mit einer Kanne Molke kamen wir wieder zurück. Die Strenge seiner Eltern galt auch für mich, auf dem Hippinghof herrschten Zucht und Ordnung, die Menschen behandelten sich selbst oft nicht so gut wie das Vieh. Der Vater schlug den Sohn bei jeder Gelegenheit mit einem alten Lederriemen, den er selbst fünfzig Jahre vorher schon zu spüren bekommen hatte von seinem Vater. Der Hansi schrie auf, mich verjagten die Hippinger, wenn es sich um ein Vergehen handelte, das der Hansi gemeinsam mit mir begangen hatte. Die Grenzen der Toleranz waren auf dem Hippinghof bald überschritten. Während der Arbeitszeit gab es nichts zu lachen, am Abend waren die meisten zu müde dazu. Trotzdem, es war das Paradies. Und ich war mir, während ich in diesem Paradies lebte, dieser Tatsache durchaus bewußt. Unter der bedingungslosen Strenge waren wir doch sicher gewesen, fühlten wir uns zuhause, ich fühlte mich auf dem Hippinghof genauso zuhause wie bei uns im sogenannten Mirtelbauernhäusl, benannt nach dem Besitzer, es war ein

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