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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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war, waren an die zwanzig Dienstboten versammelt, von den Pferdeknechten angefangen bis zu den Küchenmenschern und Stalldirnen, die sich nach der Arbeit alle auf einer die ganze Stube entlangführenden jahrhundertealten Holzbank in einer Reihe von Emailleschüsseln das Gesicht und den Oberkörper oder auch nur das Gesicht und nur den Oberkörper und die Füße wuschen, die sich auf dieser Bank die pomadisierten Haare kämmten oder auch nur dasaßen und schauten. Nach dem Nachtmahl, das aus einer einzigen großen Schüssel gegessen wurde, verzogen sich die einen in den Ort hinunter, die meisten gleich ins Bett, und ein paar setzten sich noch an den Tisch, um etwas zu lesen. Es gab Stöße von Kalendern und etliche Romane, auf deren Umschlagdeckeln hoch zu Roß ritterlich gekämpft oder von Chirurgen Bäuche geöffnet wurden. Man vertrieb sich auch die Zeit mit Kartenspiel. Etwa einmal in der Woche durfte ich auf dem Hippinggut übernachten, allerdings mußte ich vorher noch die zwei Liter Milch, die wir auf dem Hippinggut bekamen, in der Kanne nachhause tragen. Meistens war es, jedenfalls im Herbst, schon recht finster bei dieser Gelegenheit, und ich hatte immerhin einen halben Kilometer zu laufen, zuerst etwa die Hälfte der Strecke zum Bach hinunter, dann auf der anderen Seite wieder hinauf. Da hatte ich Angst. Ich nahm mir vom Hippinghof weg einen Anlauf und rannte, so schnell ich konnte, zum Bach hinunter, um mit dem Schwung, den ich durch die Rücksichtslosigkeit meinen Lungen gegenüber erreicht hatte, so rasch wie möglich auf der anderen Seite wieder hinauf und also nachhause zu kommen. Meine Großmutter wartete schon auf die Milch und kochte sie ab. Ein besonderer Triumph meinerseits bestand auf diesen Milchläufen für mich immer darin, während des Laufens die Milchkanne mit der Rechten in einem Schwung über meinen Kopf und wieder herunter im Kreis zu schleudern, sodaß die Milch, obwohl die Kanne keinen Deckel hatte, nicht herauskonnte. Ich versuchte es einmal etwas langsamer. Die Milch ergoß sich auf mich. Ich hatte eine Katastrophe heraufbeschworen. Manchmal war ich wochenlang in Hipping, ich schlief neben den Pferdeknechten mit meinem neuen Freund, dem sogenannten Hippinger Hansi, dem älteren von zwei Hippinger Söhnen, zusammen. In den Räumen waren nur Betten aufgestellt, an den Wänden waren reihenweise Haken angebracht, auf welchen das verschiedenste Roßzeug hing. Die Tuchenten waren schwer, aber wir lagen auf Roßhaar, heute weiß ich, was das bedeutet. Um halb fünf Uhr standen wir mit den Roßknechten auf. Die Hähne krähten, die eingespannten Pferde schüttelten sich. Nach einem in der Küche eingenommenen Frühstück, das aus Kaffee und einem sogenannten Milchbrot bestand, ging es hinaus. Ich lernte die Bauernarbeit kennen. In der Ferne, gegen Mittag, entdeckte ich meinen Großvater, ich lief querfeldein auf ihn zu. Im Sommer trug er nur Leinenkleidung und einen Panamastrohhut. Er ging nicht ohne Spazierstock. Wir verstanden uns. Ein paar Schritte mit ihm, und ich war gerettet. Es war richtig gewesen, aus Wien wegzugehen, er lebte auf. Aus dem jahraus-jahrein mehr oder weniger immer in seinem Arbeitszimmer in der Wernhardtstraße sitzenden sogenannten Geistesmenschen war ein unermüdlicher Spaziergeher geworden, der, wie kein zweiter in meinem Leben, das Spazierengehen zu einer hohen, allen anderen gleichgestellten Kunst machte. Nicht immer durfte ich ihn auf seinen Spaziergängen begleiten, die meiste Zeit wollte er allein und ungestört sein. Vor allem dann, wenn er mitten in einer größeren Arbeit war. Nicht die geringste Ablenkung darf ich mir leisten, sagte er dann. Aber wenn ich ihn begleiten durfte, war ich der glücklichste Mensch. Ich hatte auf diesen Spaziergängen ein grundsätzliches Redeverbot, das nur selten aufgehoben wurde von ihm. Wenn er eine Frage hatte oder ich. Er war mein großer Erklärer, der erste, der wichtigste, im Grunde der einzige. Tiere und Pflanzen bezeichnete er mit seinem Stock, an jedes auf solche Weise hervorgehobene Tier und an jede mit dem Stock ins Zentrum gestellte Pflanze heftete er einen kleinen Vortrag. Es ist wichtig, daß man weiß, was man sieht. Man muß nach und nach alles wenigstens bezeichnen können. Man muß wissen, woher es kommt. Was es ist. Andererseits verabscheute er Leute, die alles wußten oder wissen wollten. Das seien die gefährlichsten. Wenigstens einen zulänglichen Begriff muß man von allem haben, so er. In Wien hatte er

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