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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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ich mit einer sogenannten höhergestellten Person zu sprechen hatte. Und immer in der Nacht. Ich höre noch, wie meine Mutter der Doktor Popp sagt,
er ist Bettnässer, es ist zum Verzweifeln
. Ich denke, diese Mitteilung hat meine Verschickung nach Saalfeld ausgelöst. Der ganze Taubenmarkt und die ganze Schaumburgerstraße wußten, daß ich Bettnässer war. Meine Mutter hatte ja jeden Tag diese meine Schreckensfahne gehißt. Mit eingezogenem Kopf kam ich von der Schule nachhause, da flatterte im Wind, was allen anzeigte, was ich war. So schämte ich mich vor allen; auch wenn das nicht stimmte, ich glaubte, alle Welt weiß, daß ich ins Bett mache. Und naturgemäß passierte mir mein Unglück auch während des Unterrichts in der Schule, wenn es nicht schon vor dem Schultor passiert war. Hier in der Münchner Nacht hatte ich, zum erstenmal nach langer Zeit, nicht ins Bett gemacht. Das Leintuch war trocken geblieben. Aber es sollte für lange Zeit das einzige und letztemal gewesen sein. Was ich in diesen Bettnässerjahren als völlig unnatürlich und abschreckend außergewöhnlich empfunden hatte, war in Wirklichkeit das Natürlichste meiner Lebensumstände, weiß ich heute. Als meine Mutter einmal unserem sogenannten Hausarzt, dem Doktor Westermayer, ihre völlige Ratlosigkeit gegenüber meinem Bettnässen eingestand, hatte dieser nur die Achseln gezuckt. War ich krank, hat sich der dicke Doktor Westermayer immer über mich gebeugt, ohne seine glühende Zigarre aus dem Mund zu nehmen, und sein riesiger, schwitzender Kopf horchte an meinem Brustkorb. Die Ärzte wissen keinen Rat, sie konstatieren nur die Defekte. Einmal hatte ich das Glück, von meinem Drang rechtzeitig aufzuwachen, und ich war aus dem Bett gestiegen und hatte gerade noch den Abort erreicht. In der Frühe stellte sich heraus, daß ich, weil sie beinahe beide gleich ausgestattet gewesen waren, die Wäschekastentür mit der Aborttür verwechselt hatte. Mein Entsetzen war ein doppeltes, die Bestrafung eine furchtbare. Die Münchner Nacht war angefüllt gewesen mit allen Verzweiflungsgedanken, die sich für ein Kind denken lassen. In aller Frühe drängte sich die Kindergruppe mit den umgehängten Pappendeckelschildern in das Abteil eines nach Berlin abfahrenden Schnellzugs. Die Strecke München–Bamberg–Lichtenfels undsofort war noch nicht elektrifiziert, einer der riesigen Borsig-Kolosse zog den Zug aus dem Hauptbahnhof, meistens war während der ganzen Fahrt die Landschaft von einer schwarzen, stinkenden Rauchwolke verdeckt. Machte der Zug Station, waren unsere Köpfe an den Fenstern. Wir wußten bereits alle unsere Namen, von jedem, woher er kommt, was seine Eltern sind, was seine Familie treibt. Warum heißt du denn Bernhard, wenn dein Vater Fabjan heißt? war ich auch hier gefragt worden. Tausende Male hatte ich diese Frage schon ertragen müssen. Ich erklärte, daß mein Vater gar nicht mein Vater sei, sondern mein Vormund und daß er mich nicht überschrieben habe. Hätte er mich überschrieben, so der Fachausdruck, hieße ich wie er Fabjan und nicht Bernhard. Mein wirklicher Vater lebe zwar noch, aber ich wisse nicht wo und im Grunde überhaupt nichts über ihn. Ich hätte ihn niemals gesehen. Mit allem, was ich über mich sagte, hatten meine Zuhörer nichts anfangen können, es war aber außerordentlicher gewesen als das Ihrige. Ich hätte aber einen Großvater, der Schriftsteller sei und den ich über alles liebte. Sie hatten keine Ahnung, was das ist, ein Schriftsteller. Sie hatten Dachdecker und Maurer als Großväter. Ich erklärte ihnen, daß ein Schriftsteller schreibe, Manuskripte. Aber auch das Wort Manuskript hatten sie noch niemals gehört. Es war sinnlos, ihnen weitere Erklärungen abzugeben. In Saalfeld bildeten wir auf dem Bahnsteig eine größere Gruppe, möglicherweise waren wir an die fünfzig oder noch mehr, und folgten in Dreierreihen unserer NSV-Schwester. Ich hatte das Gefühl, die Schwester habe ihr größtes Augenmerk auf mich gerichtet. Ich dachte, sie weiß, was und wer ich bin, ein grauenhaftes Subjekt, Bettnässer, Unfriedenstifter undsofort. Ich getraute mich nicht, direkt in ihre Augen zu schauen. Ob die Meinigen wissen, daß ich jetzt in Saalfeld und nicht in Saalfelden bin? Eine Ansichtskarte von Saalfeld, die ich gleich am nächsten Tag nach meiner Ankunft, um die Angehörigen zu beruhigen, nachhause geschickt hatte, wie alle andern auf Befehl der NSV-Schwester, hatte sie erst eine Woche nach meiner Abreise

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