Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
aber viele sind in diesen Stollen erstickt oder aus Angst umgekommen, und ich habe viele in den Stollen Umgekommene und als Tote aus den Stollen Hinausgeschleppte gesehen. Manchmal waren sie reihenweise schon gleich nach ihrem Eintritt in den sogenannten Glockengassenstollen, in welchen wir selbst immer hineingegangen waren, alle Internatszöglinge angeführt von eigens dazu bestimmten Anführern, älteren Studenten, Mitschülern, gemeinsam mit Hunderten und Tausenden von Schülern aus anderen Schulen durch die Wolf-Dietrich-Straße am Hexenturm vorbei in die Linzer und in die Glockengasse, reihenweise schon gleich nach ihrem Eintritt in den Stollen ohnmächtig geworden und mußten, um gerettet zu werden, gleich wieder aus dem Stollen hinausgeschleppt werden. Vor den Stolleneingängen warteten immer mehrere große mit Tragbahren und Wolldecken ausgestattete Autobusse, in welche diese Ohnmächtigen hineingelegt worden sind, aber meistens waren es mehr Ohnmächtige, als in diesen Autobussen Platz gehabt hatten, und die in den Autobussen keinen Platz hatten, wurden unter freiem Himmel vor den Stolleneingängen abgelegt, während die in den Autobussen durch die Stadt in das sogenannte Neutor gefahren worden sind, wo die Autobusse mit diesen in ihnen Liegenden, sehr oft auch in ihnen in der Zwischenzeit Verstorbenen, so lange abgestellt waren, bis
entwarnt
war. Ich selbst war zweimal im Glockengassenstollen ohnmächtig und in einen solchen Autobus hineingeschleppt und während des Alarmzustandes in das Neutor gefahren worden, aber ich hatte mich jedesmal in der frischen Luft außerhalb des Stollens rasch erholt gehabt, so habe ich auch in den Autobussen im Neutor meine Beobachtungen machen können, wie hilflose Frauen und Kinder nach und nach aus ihrer Ohnmacht aufwachten oder ganz einfach nicht mehr aus dieser Ohnmacht aufwachten, und es ist nicht feststellbar gewesen, ob die, die nicht mehr aufwachten, an Erstickung oder aus Angst gestorben sind. Diese an Erstickung oder aus Angst Gestorbenen waren die ersten Opfer dieser sogenannten Luft- oder Terrorangriffe gewesen, bevor noch eine einzige Bombe auf Salzburg gefallen war. Bis es soweit gewesen war, Mitte Oktober neunzehnhundertvierundvierzig, ein vollkommen klarer Herbsttag zu Mittag, sind noch viele auf diese Weise gestorben, sie waren die ersten gewesen von vielen Hunderten oder Tausenden, die dann in den tatsächlichen sogenannten Luftangriffen, Terrorangriffen auf Salzburg umgekommen sind. Einerseits hatten wir Angst vor einem solchen
tatsächlichen
Luft- oder Bomben- oder Terrorangriff auf unsere Heimatstadt, die bis zu diesem Oktobermittag davon völlig verschont geblieben war, andererseits wünschten wir (Zöglinge) alle insgeheim tatsächlich, mit einem solchen Luft- oder Bomben- oder Terrorangriff als
tatsächliches Erlebnis
konfrontiert zu sein, wir hatten unser Erlebnis eines solchen fürchterlichen Vorgangs noch nicht gehabt, und die Wahrheit ist, daß wir es aus (pubertärer) Neugierde herbeiwünschten, daß nach den Hunderten von deutschen und österreichischen Städten, die schon bombardiert und zum Großteil auch schon völlig zerstört und vernichtet waren, wie wir wußten und was uns nicht nur nicht verborgen geblieben, sondern tagtäglich aus allen nur möglichen persönlichen Berichten und aus den Zeitungen mit der ganzen Furchtbarkeit des Authentischen aufgedrängt worden war, daß auch unsere Stadt bombardiert wird, was dann, ich glaube, es war der siebzehnte Oktober, geschehen ist. Wie Hunderte Male vorher, waren wir an diesem Tage gleich anstatt in die Schule oder aus der Schule durch die Wolf-Dietrich-Straße in den Glockengassenstollen hineingegangen und hatten dort mit der in einem jungen Menschen immer größtmöglichen Aufnahme- und Beobachtungs- und also auch Sensationsbereitschaft das sich schon gewohnheitsmäßig vollziehende zweifellos schreckliche und erschreckende Geschehen wahrgenommen, die Angst der in den Stollen stehenden und sitzenden und liegenden mehr oder weniger betroffenen, aber doch ununterbrochen von dem ganzen entsetzlichen Geschehen des Krieges bewußt oder unbewußt schon lange Zeit zur Gänze beherrschten Menschen, vornehmlich der Kinder und Schüler und Frauen und alten Männer, die sich in gegenseitiger Hilflosigkeit und in dem permanenten Dauer- als Lauerzustand des Krieges fortwährend, als wäre das schon ihre einzige Nahrung gewesen, beobachteten und beargwöhnten und die alles schon nurmehr noch apathisch mit
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